Stalins Kühe
ist … Nichts bleibt hier … Nach Moskau … Nach Moskau … oder in Geschäfte, die für das gewöhnliche Volk unzugänglich sind.
Als Glasnost und Perestroika aktuelle Wörter sind, weichen die Wolga-Taxis allmählich anderen Automarken. Die Schlangen bewegen sich schneller. Lada-Taxis tauchen auf; sie sind privat und vom Format Knie im Mund, sie rasen in aberwitzigem Tempo ohne jegliche Begrenzungen, hoppelnüber die unebenen Straßen und machen bei jedem Huckel und jedem Stein kleine Luftsprünge. Andere Marken kommen einem auf der Landstraße kaum entgegen, sie sind noch sehr selten, zufällig mal eine, am häufigsten verkehren noch die Lastwagen der Kolchosen, sie hoppeln ebenso sehr, und manchmal ein Linienbus, der etwas weniger hoppelt.
Mutter schimpft die Menschen Schafe und wundert sich, wie sie von einer Schlange in die nächste trotten können, ohne Widerstand zu leisten, nur herumstehen und glotzen, von einer Schlange in die nächste, abgestumpft und ohne aufzumucken dem Absperrband folgend, als könnte es gar nicht anders sein. Idioten, allesamt!
So etwas konnte Mutter nicht ertragen. Deshalb hat sie das Land verlassen, das Land der Schafe, das Land, das sich zum Schaf gewandelt hat. Deshalb geht Mutter an den Schlangen vorbei und wird zurückgezerrt, aber sie geht einfach weiter, bis sie sich manchmal doch fügen und in die Schlange einreihen muss. Währenddessen betrachtet Anna die Menschen, die Goldzähne und die behaarten Beine der Russinnen unter dem Kattunkleid. Einmal sah Anna eine Frau mit schlanken Beinen in einem superkurzen Rock und Sandalen, deren hohe Absätze aus Metall waren und deren Gang so weiblich war wie nur vorstellbar. Die Bluse der Dame bestand aus weißen Rüschen, und die Tasche über ihrer Schulter war klein, aber ihre Beine waren behaart und die Schenkel noch behaarter. Anna hatte bei einer Frau noch nie so haarige Schenkel und Knie gesehen. So als hätte jemand eine behaarte Männerbrust um einen Frauenschenkel gewickelt.
1972
Die Finnen trinken Branntwein, ohne dazu salzige Happen zu essen – entweder pur oder mit Orangenlimonade oder Cola. Katariina findet ständig neue seltsame Seiten an ihrem Finnen. Zu einem estnischen Abend gehören immer suupisted , Beihappen, auf den Tisch, wenn man Branntwein trinkt. Auch die Russen trinken Branntwein nicht, ohne etwas dazu zu essen, ins Restaurant bringen sie ihren eigenen Wodka mit, aber Essen wird in großen Mengen bestellt. Das Verzehren der Portionen steht bei den Russen vielleicht hinter dem Trinken zurück, in den Speisen auf dem Teller wird so lange herumgestochert, bis sie aussehen wie angegessen, und in die Teegläser wird Klarer aus einer Flasche geschenkt, die man aus einem Einkaufsnetz hervorholt, und po stakan , glasweise, getrunken, aber Essbares muss bei den Trinkgelagen trotzdem vorhanden sein. Zumindest so viel, dass man auf den Schnaps ein Stück Brot nachessen kann. Katariinas Finne wiederum begreift nicht, dass die Schnapsflaschen auf dem Tisch stehen. Auf den finnischen Tisch werden Speisen gestellt, wenn man die Speisen isst, aber nicht der Schnaps, wenn man den Schnaps trinkt. Den trinkt man irgendwo hinter der Hausecke. Für einen Finnen ist Branntwein mit Cola nicht einmal ein purer Schnaps, wie nach Katariinas Ansicht, denn er enthält ja diese Limonade. Katariina muss lachen, wenn ihr Finne sagt, ein gutes Getränk solle man nicht mit Essen verderben. Auch sonst ist dieser Finne komisch – er steckt seine Zigaretten jedes Mal in die Tasche,wenn er Katariina zum Tanzen führt oder überhaupt vom Tisch aufsteht.
Katariina sieht schon von Weitem, wenn ihr Finne sich von seinen Freunden trennt und die anderen ihren Weg anderswohin fortsetzen, und Katariinas Finne kommt auf sie zu, Schnee in den Haaren, mit offenem Mantel und ohne Schal. Den Finnen erkennt man schon deshalb von Weitem, weil es im winterlichen Straßenbild sonst niemanden ohne Mütze gibt, ein blonder Kopf inmitten von Pelzmützen und Wintermänteln, und den Schal … obwohl es ja hübsch aussieht, junge Männer ohne Kopfbedeckung. Der Finne hat sich vor dem Treffen mit Katariina wieder rasiert, das bemerkt sie bei der Umarmung, und er duftet so frisch, dass er bestimmt auch noch geduscht hat. Die Einheimischen gehen zwar immer in Anzug und Krawatte, aber die Frische stammt vom Tag zuvor. Und wie macht der Finne das, dass er nicht nach Tabak stinkt, obwohl er raucht? Das verblüfft Katariina immer von Neuem.
Katariina muss
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