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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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Magerkeit erlangt, dass ich sie hätte verhüllen müssen.
    Je weniger Kleider ich anhabe, desto mehr werde ich betrachtet. Je genauer ich weiß, was man an mir betrachtet, desto unbeschwerter fühle ich mich, desto leichter weiß ich, was sie von mir denken. Desto weniger Dinge gibt es, deren ich nicht sicher sein kann. Ich verstehe jeden Blick, der meinen nackten Körper trifft, ich bin mir der Bedeutung jedes Augenblicks sicher, ich weiß, was geschieht, ich bin in meinem Körper in Sicherheit, irgendwo dort tief drinnen. Dort ist so jemand in Sicherheit, der die erste Person Einzahl benutzt, wenn er sich selbst meint. Hukka pustete mir in die Ohren. Das war angenehm. Und auch, wie Hukka meinen Bauch streichelte und meinen Körper von den Fingerspitzen bis zu den Zehen. Hukkas Hände gaben mir meine Konturen, und so war ich keineswegs nahe daran zu ertrinken, aus meinem Körper herauszutreten, um vor Hukka zu flüchten, an die Dachkante zu treten und mir anzusehen, wie mein Körper neben Hukka lag. Wenn ich mit Hukka zusammen war, verließ ich meinen Körper nicht. Ich war einfach nur da. Ich lauschte Hukkas Händen auf meiner Haut, ich lauschte, wie Haut meine Haut berührte, wie erstaunlich ich mich fühlte, auf wie erstaunliche Weise ich Hukkas Kleine Katze geworden war. Die ganz spezielle Kleine Katze.
    Für eine solche Unvorsichtigkeit bekommt man immer eins auf die Nase. Lauf, Anna.

1975
    Arnolds Rechtsstreit wird fallen gelassen. Wozu den alten Mann plagen?

1976
    Für die Ausreise wurde eine schriftliche Erklärung des Mannes benötigt, dass er für den Lebensunterhalt seiner Frau aufkommt, außerdem eine Auflistung der im Ausland wohnenden nächsten Verwandten und von der Arbeitsstelle eine Bestätigung, dass der ausreisende Mitarbeiter nichts in seinem Besitz hatte, was ihm nicht gehörte, Werkzeug, Bücher oder Ähnliches. Dann noch eine Einschätzung der ausreisenden Person, die der Parteisekretär der Firma schreiben musste. Dieses Charakterbild wurde außer vom Parteisekretär auch vom Hauptbuchhalter und vom Direktor bestätigt. Katariina ging nach der Hochzeit weiterhin wie gewohnt zur Arbeit, und die Lage am Arbeitsplatz hatte sich schon beruhigt. Katariinas Heirat war beim Tratschen nicht mehr das Thema Nummer eins, und mit Katariina waren nach der Hochzeit keinerlei Veränderungen vor sich gegangen, sie war anscheinend immer noch derselbe Mensch, arbeitete auf dieselbe Weise und trug dieselben Kleider.
    Katariina hatte ein gutes Verhältnis zum Parteisekretär der Firma, obwohl sie selbst der Partei nicht angehörte, und an seinen Ehrentagen bedachte Katariina ihn immer mit Kognak und Rosen, und auch sonst ab und zu. Auch mit der Hauptbuchhalterin kam Katariina gut aus. Katariinas Patentante arbeitete im Café Maiasmokk und bekam dort immer Marzipan und das beste Konfekt, und die Hauptbuchhalterin fand es sehr angenehm, dass sie über Katariina so mühelos an solch seltene Delikatessen herankam.

    Zusätzlich wurde Katariinas Ausreise auch in der Parteiversammlung der Firma behandelt, aber auch dort gab es in dieser Hinsicht keine Probleme.
    Und es ging alles durch.
    Es ging durch.
    Es ging tatsächlich durch.
    Im Büro der Abteilung Auslandsvisa prüfte ein Mann Katariinas Papiere, lächelte und war freundlich, handelte es sich doch um jemanden, der ins Ausland geht, er plauderte über dies und das und beendete die Diesunddasplauderei, indem er Katariina riet, sie solle, egal, was man sie auch fragen würde, nur die Wahrheit sagen.
    Er verabschiedete Katariina und begleitete sie auf den Korridor, folgte ihr dann aber, schloss die Tür seines Büros und ging mir ihr durch die leeren Gänge zur Haustür – damals war die Beschaffung von Auslandsvisa so selten, dass pro Tag höchstens ein Kunde die Abteilung besuchte –, und in der Nähe der Haustür, neben einem offenen Fenster, drückte er Katariina die Hand und sagte, wobei er ihr direkt in die Augen schaute, sieh zu, dass du mit niemandem zu tun hast, der von hier stammt. Er verabschiedete sich nicht, beendete auch nicht sein Diesunddasgeplauder, seine Stimme war ruhig, die Worte langsam und klar, der Händedruck fest, der Wind hätte fast seine Stimme überdeckt. Vermeide jeden Kontakt mit ihnen, sie sind … na, du weißt schon.

ICH
LAG
EINGEKUSCHELT in Hukkas Arm, als im Fernsehen eine Sendung über den Tallinn-Tourismus kam. Ich fühlte mich versucht auszurufen, dass das Hafenterminal auf dem Bildschirm anders ausgesehen habe, als ich

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