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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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Allerletztes, so ein liebkosendes Flüstern, mit derselben Stimme wie all die anderen Liebesworte. Mein estnisches Flittchen.
    Oder vielleicht würde Hukka es sehr komisch finden, dass meine baltische Mutter Diplomingenieurin war. Auch das wäre etwas, was so gut zu Hukkas Repertoire von Witzen passen würde. Hukka würde vielleicht bei meinen Eltern anrufen, während ich dort zu Besuch war. Mutter würde sich melden, und Hukka würde ihre Sprechweise, ihren Akzent nachahmen. Mutter würde den Hörer nicht mir geben, sondern schreien, wer ist denn da! Das würde Hukka als einen prima Jux empfinden. Als einen so guten, dass ich nicht würde zeigen können, wie ich ihn fand, sondern eine höfliche Miene aufsetzen müsste, bei der ich die Mundwinkel etwas auseinanderziehen, jedoch nicht laut lachen würde, damit Hukka bei unserem nächsten Streit keinen Anknüpfungspunkt hatte. Natürlich könnte Hukka mich auch seinen estnischen Engel nennen. Dennoch hatte ich keine Lust, das Risiko einzugehen. Ich hatte einfach keine Lust.
    Oder vielleicht erzählte ich es deshalb nicht, weil ich es doch nicht gewagt hätte, Hukka meine zweite Heimat zu zeigen. Einmal machte ich mit einer Zufallsbekanntschaft einen Besuch in Tallinn, das war Mitte der Neunzigerjahre, und ich wunderte mich schon damals, was es dort alles für Veränderungen gab, obwohl mein letzter Besuch erst etwa ein halbes Jahr her war. Neue Glastürme, während früher das Hotel Viru das einzige wirklich hohe Gebäude gewesen war, ein richtiger weißer Leuchtturm, überall blinkte etwas Neues, die Veränderungen stürmten von allen Seiten auf mich ein, aber meine Reisebegleitung kapierte natürlich nicht, worüber ich mich so wunderte. Dort ist ein Geldautomat! Menschen stehen Schlange vor einem Geldautomaten! Unternehmen, private Geschäfte, Restaurants, Bars, an jeder Ecke alle möglichen kleinen Buden, die den Namen ihres Besitzers tragen: Teele äri, Teeles Laden , Saima äri, Katri äri, Peetri pizza, Aino kohvik , Ainos Café … wie erstaunlich! Und keine einzige Frau hatte mehr von schweren Ohrgehängen lang gezogene Löcher in den Ohrläppchen!
    Alles, was mich in Erstaunen versetzte, war für meine Zufallsbekanntschaft nichts. Ich wollte dasselbe nicht noch einmal mit Hukka erleben, unter gar keinen Umständen, niemals, gerade mit Hukka.
    Außerdem wäre eine Ankunft in Tallinn mit Hukka sowieso zu intim gewesen, selbst wenn Annas Welt gar nicht mehr existierte. Es wäre zu intim, zu gefährlich gewesen, Hukka eine solche Chance zu geben, mich zu verletzen,noch dazu mit so komischen Dingen. Und sei es nur damit, dass Hukka, mein Hukkalein, nicht verstehen würde, was an Leuchtreklamen so Erstaunliches ist. Aber Leuchttafeln hatte es in Annas Welt nicht gegeben. Und Hukka würde das armselig finden, obwohl es meiner Ansicht nach schön war und die Stadt zu etwas machte, was man im Westen schon lange nicht mehr sah.

OLJA
ZU
BESUCHEN ist richtig spannend, jedes Mal ist es ein kleines Abenteuer, bei dem wir verstohlen und heimlich auf Schatten achten. Dann sagen wir der Tante, dass wir ganz woanders einen Besuch machen, nur im Kaufhaus oder in der Eisdiele.
    Der Transport der zu verkaufenden Sachen hat natürlich seine eigenen Schwierigkeiten. Wenn Anna und ihre Mutter in späteren Jahren im Sommer nicht mehr zur Tante kommen, sondern sich in Tallinn einquartieren, ist das kein Problem. Wenn aber die Tante uns im Hafen abholt und wir von dort direkt zum Balti Jaam gehen, von wo wir mit dem Zug nach Haapsalu fahren, dann ist das ein Problem, denn wir können die Taschen nicht auspacken oder irgendwo lassen, ohne dass die Tante es sieht. Es muss also alles zur Tante gebracht werden, und dort muss einer von uns ständig bei den Taschen bleiben, bis alles fortgebracht ist, damit die Tante und die Cousinen sich nicht über die Taschen hermachen können, um sie zu durchwühlen oder etwas zu stehlen. Und um die Sachen aus der Wohnung herauszubekommen, müssen wir einen Moment abpassen, in dem niemand da ist. Natürlich können wir nicht mit einem für eine Stadttasche ungewöhnlich großen Sack losziehen – im Hausflur funkeln zu viele Türspione, und dahinter lauern tratschende Nachbarn. Die Tante würde es doch von irgendjemandem erfahren. Ebenso, wenn uns in der Stadt zufällig einer von den Bekannten der Tante entgegenkäme. Dass ihre Schwester mit großem Gepäck unterwegs war – hatte sie vielleichtetwas gekauft? Irgendwo eine Bückware bekommen? Alles

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