Stalins Kühe
Quittungen Datum, Name und Preis vermerkt waren … Und für eine blau-weiße Sportjacke war keine Quittung da gewesen, die in dem Augenblick hätte ausgestellt werden müssen, da Olja die Jacke angenommen und zu den zu verkaufenden Kleidungsstücken gelegt hatte. Sie war nicht dazu gekommen oder hatte nicht daran gedacht, eine passende Quittung zu fabrizieren, und so hatte sie so getan, als suchte sie überall danach, während der Rechnungsprüfer hinter seinen Brillengläsern ihrhektisches Treiben beobachtete und sich ihre Beteuerungen anhörte, die Quittung sei bestimmt irgendwo, sie sei irgendwo dazwischengerutscht, sie sei mit Sicherheit vorhanden, Olja hatte ihre auf die Brüste gefallenen Haare zurück auf den Rücken geworfen und ihre Suche, großen Eifer demonstrierend, fortgesetzt, war nervös geworden und hatte das mühsam verheimlicht, wobei sie denselben Papierstapel viele Male durchging klapperte blätterte.
Es war schon später Nachmittag, und der Rechnungsprüfer war ungeduldig geworden, hatte seine Anzugjacke zurechtgezupft, ein Schuppenkrümelchen weggeschnippt und seine gekämmten Haare fester an den Kopf gestrichen. Rasch hatte Olja vorgeschlagen, der Rechnungsprüfer könne doch in das nahe Café gehen und sich dort hinsetzen, bis Olja die Quittung gefunden habe, weil die ja irgendwo sein musste, eben so wie für jedes andere zum Verkauf stehende Stück in dem Ordner eine Quittung vorhanden war, ein gelbliches Papier unter anderen, die russischen Buchstaben ebenso ungleichmäßig gedruckt wie auf allen anderen Quittungen des Landes. Es gab sie, sie war nur irgendwo dazwischengerutscht, natürlich war sie irgendwo, wenn der Rechnungsprüfer nur warten könnte? Olja hatte den Rechnungsprüfer ins Café begleitet und versprochen, seine Rechnung zu begleichen, sobald sie die Quittung gefunden und dem Rechnungsprüfer ins Café gebracht haben würde. So ließe die Sache sich wohl regeln?
Im Hinterzimmer des Geschäfts hatte Olja sich nicht beeilt, die Quittung zu fälschen, sondern hatte gewartet, bis der Rechnungsprüfer sich einen soliden Rausch angetrunken hatte, und dann die Quittung ins Café gebracht, wo sie erzählte, sie sei hinter die Fußbodenleiste gerutscht. Als Verkäuferin der Jacke hatte sie jemanden mit einem häufigen Namen eingetragen – die Frau eines Seemanns; der Mann hatte die Jacke aus Schweden mitgebracht, und die Frau hatte sie ins Geschäft gebracht, so war das, dann hatte Oljasich zu dem Rechnungsprüfer gesetzt, um ihm bei einem Glas Gesellschaft zu leisten, und der Rechnungsprüfer war da schon ganz entspannt und gut gelaunt gewesen.
WENN
MUTTER
VOM Zoll erwischt worden wäre, dann wäre ihr finnisches Visum futsch gewesen. Vielleicht wäre sie in Estland ins Gefängnis gekommen, noch bevor sie die finnische Staatsangehörigkeit erlangt hatte. Vielleicht ins Gefängnis und damit in den Dienst des KGB . Vielleicht wäre sie nur dadurch zurück nach Finnland gekommen, dass sie sich zu Schnüfflerdiensten verpflichtete. Wer weiß, was hätte passieren können. Was dann auch mit Olja hätte passieren können. Zu Oljas Aufgaben gehörte es ja nicht, neben ihrer Arbeit als Verkäuferin des Kommissionsladens ihre eigene Geschäftstätigkeit zu betreiben – ebenso wenig wie es zum Tätigkeitsbild eines Arbeiters in einer sowjetischen Gardinenfabrik gehörte, in seinen Hosen Vorhangstoff aus der Fabrik hinauszuschmuggeln, oder zu den Aufgaben der Angestellten einer Schokoladenfabrik, den Kognak, der als Pralinenfüllung gedacht war, im doppelten Boden einer Einkaufstasche aus der Fabrik hinauszuschaffen.
Das Entscheidende war, dass man sich nicht erwischen ließ. Beziehungsweise auch das wäre nicht so schlimm, wenn nur genügend Leute von verschiedenen Stellen an der Sache beteiligt waren. Aber an Oljas und Mutters Geschäftstätigkeit war niemand anders beteiligt als die Kunden, kein einziger Behördenvertreter war bestochen worden, sodass sie sehr vorsichtig sein mussten. Vielleicht gab es in dem Kommissionsgeschäft zu viel ausländische Kleidung, vielleicht war es nicht ganz glaubhaft, dass sie von Seeleuten aus dem Ausland mitgebracht worden war,sie würden es niemals schaffen, legal solche Mengen mitzubringen.
Am besten wäre es, wenn Olja einen Teil davon fortschaffen und anderswo aufbewahren würde. Sie hat zwar das Auslegen der Sachen auf dem Ladentisch schon rationiert, aber offensichtlich nicht ausreichend. In Haapsalu gab es jedenfalls viel weniger import- Ware
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