S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone
er hat gehört, was wir gesagt haben und will nicht ausgeflogen werden."
Er drehte sich um. „Ich sage dem Sicherheitsdienst Bescheid, •durchsuchen Sie die Büros."
Irina nickte. Wärme und Freundlichkeit verschwanden aus ihrem Gesicht. „Ja, Professor."
David nutzte ihre Worte, um leise die Tür zu schließen und einen Stuhl unter die Klinke zu klemmen. Die Wendung hatte ihm die Entscheidung abgenommen. Jetzt konnte er nur noch zwischen zwei Alternativen wählen: der Abschiebung nach Deutschland oder der Flucht ins Ungewisse.
Draußen klopfte jemand an die Tür. „Doktor Getman?", fragte Ilina. „Sind Sie da?"
David ging leise zum einzigen Fenster des Büros und öffnete es. Regentropfen benetzten sein Gesicht und fielen auf den Vogeldreck, der den weniger als fünfzig Zentimeter breiten Sims bedeckte. Ein Stück entfernt ragten die eisernen Ringe einer Feuerleiter aus der Wand.
Auf dem Gang rüttelte Irina an der Tür.
„Es ist abgeschlossen", sagte sie.
„Das kann nicht sein", entgegnete der Professor. „Getman ist gar nicht da. Er ist ..." Juschtschenko räusperte sich. „Er ist erund deshalb nicht zum Dienst erschienen. Die Pläne werden gerade geändert."
David biss die Zähne zusammen und stieg aus dem Fenster. Mit einer Hand hielt er sich am Rahmen fest, mit der anderen an der rauen Betonwand. Panik stieg in ihm auf. Er kämpfte sie mit aller Macht nieder. Vorsichtig machte er einen Schritt nach vorne.
Er dachte an früher, wie er mit seinen Freunden über gefällte Baumstämme balanciert war. Sie waren schmaler als der Sims gewesen und doch war er über sie gegangen, als wären sie so breit wie eine Straße. An dieses Gefühl der Sicherheit versuchte er sich zu erinnern, wie er es beinahe traumwandlerisch über glitschiges Moos und faulige Rinde bis zum Ende geschafft hatte. Doch obwohl er sich darauf konzentrierte, sahen seine Augen nichts anderes als die vier Stockwerke, die zwischen ihm und dem asphaltierten Parkplatz lagen.
„Scheiße", fluchte er leise. Seine Stimme zitterte ein wenig. Mit dem Rücken presste er sich gegen die Wand, die Arme ausgestreckt. Zentimeterweise rutschten seine Sohlen über den Sims. Er hörte, wie gegen die Bürotür gehämmert wurde. Das Holz knirschte, gab aber - noch - nicht nach. Jemand warf sich dagegen. Irina und der Professor schienen Verstärkung bekommen zu haben.
Davids Fingerspitzen berührten Metall. Er schloss die Hand um die Stufe der Leiter wie um einen Rettungsring. Im Inneren des Büros fiel der Stuhl mit einem Knall um. Die Tür schmetterte gegen die Wand. Eine Männerstimme fluchte ukrainische Obszönitäten.
David machte einen letzten Schritt auf die Leiter zu. Er spürte Rost unter seinen Handflächen. Eine Taube, die auf einem der Metallringe gesessen hatte, flog flatternd davon. Der Wind kühlte Davids schweißnasses Gesicht. Er senkte den Kopf und begann nach unten zu klettern.
„David, warte!" Irina lehnte sich über ihm aus dem Fenster. „Ich muss unbedingt mit dir reden. Du brauchst unsere Hilfe."
„Er haut über die Feuerleiter ab", rief drinnen ein Mann. „Igor und Wladimir, ihr beide lauft zum Parkplatz. Beeilt euch!"
David versuchte Irinas Stimme zu ignorieren. Die Ringe waren rutschig. Regen, Rost und Vogelkot bildeten eine schmierige Schicht. Sollte in diesem Krankenhaus tatsächlich einmal ein Feuer ausbrechen, würden sich die meisten Patienten auf dem Weg nach unten die Knochen brechen.
Den letzten Meter zum Parkplatz überwand David mit einem Sprung. Seine Knie waren so weich, dass er einknickte und sich mit den Händen abstützen musste. Kleine Kiesel und Schotter bohrten sich in seine Haut.
„Er ist auf dem Parkplatz", rief Irina, „direkt unter mir!"
Hinter den Fenstern des Krankenhauses tauchten Gesichter auf. Einige Krankenschwestern, die auf dem Flachdach standen und •rauchten, lehnten sich neugierig über die Brüstung. Ihre weißen Kittel flatterten im Wind.
David stemmte sich vom Boden hoch und lief auf die geparkten Autos zu. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Igor und Wladimir die Tür eines Notausgangs aufstießen und sich suchend umsahen.
„Da hinten, neben Doktor Ukovs Wagen!", schrie Irina. Sie schien das Kommando der Treibjagd übernommen zu haben.
David duckte sich unwillkürlich, obwohl er wusste, dass sie ihn von ihrer erhöhten Position aus trotzdem sehen konnte. Die Krankenwagen und Müllcontainer schützten ihn zwar vor den Blicken seiner beiden Verfolger, aber nicht vor denen
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