Star Trek - New Frontier 01 - Kartenhaus
Wilder, so viel wusste Picard. In gewisser Hinsicht erinnerte er ihn an Worf. Doch es gab Unterschiede. Worf wirkte stets so entspannt wie ein schlafender Vulkan. Seine Wildheit war ein ständiger und hervorstechender Teil seines Wesens. Calhoun war viel weiter gegangen. Er hatte sich praktisch eine ganz neue äußere Persönlichkeit geschaffen. Eine Art Mantel, wie er selbst gesagt hatte, den er sich umhängte, um die Welt auf Distanz zu halten und sie vor seinem wahren stürmischen Wesen zu bewahren. Infolgedessen handelte er äußerst konzentriert und war ein Meister der Problemlösung geworden. Was er tat, geschah mit einem Engagement, wie Picard es noch nie zuvor erlebt hatte.
Worüber dachte er nach? Welche moralischen Fragen bewegten ihn, während er überlegte, ob er wieder in Ehren in den Sternenflottendienst zurückkehren sollte, um seine erste und größte Bestimmung zu erfüllen? Welche quälenden Zweifel, welche selbstkritischen Grübeleien mochte er …?
Calhoun blickte mit offener und verschmitzter Miene zu Picard auf. »Wenn ich das Kommando über ein Raumschiff übernehme, wird Jellico einen Herzinfarkt bekommen, nicht wahr?«
Picard dachte darüber nach. »Ja, wahrscheinlich.«
Calhoun beugte sich vor, während ein sadistisches Funkeln in seine Augen trat. »Dann erzählen Sie mir von diesem Schiff, das Sie mir anvertrauen wollen …«
V
Ein Lämpchen blinkte auf Soletas Computerkonsole, als sie ihre Wohnung betrat. Sie zog ihre Jacke aus und musterte die Blinkanzeige mit leichter Neugier. Draußen schien ein Sturm aufzuziehen. Die Wolken hingen deutlich sichtbar in der Ferne über dem Gebäude der Sternenflottenakademie. Sie hatten bereits den normalerweise ausgezeichneten Blick auf die Golden Gate Bridge getrübt.
Soleta hängte die Jacke ordentlich in ihrem Schrank auf. Sie rief sich einige Punkte ins Gedächtnis, die den morgigen Unterrichtsplan betrafen, und da sie problemlos in der Lage war, mehr als eine Sache gleichzeitig zu erledigen, sagte sie knapp: »Computer, Nachrichten abspielen.«
»Zwei Anrufe«
, antwortete der Computer.
»Erste Nachricht wird abgespielt.«
Der Bildschirm flimmerte kurz. Dann wurde das Gesicht Commander Seth Goddards vom Sternenflottenkommando sichtbar. Sein Haar war an den Schläfen bereits ergraut. Er kam sofort zur Sache.
»Lieutenant Soleta, diese Nachricht ist mit einem automatischen Rückrufkommando versehen. Warten Sie bitte auf eine direkte Verbindung.«
Soleta nahm vor dem Bildschirm Platz und verschränkte die Hände im Schoß. Sie fragte sich, was das Kommando mit ihr zu besprechen hatte. Sie hatte sich sehr im Hintergrund gehalten, seit sie als Dozentin an der Akademie arbeitete. Es war nicht unbedingt das Leben, das sie sich erträumt hatte, aber die Tätigkeit befriedigte sie. Die Entwicklung ihrer Persönlichkeit und vor allem ihr eigener Umgang mit ihrer gemischten Herkunft waren ein langer und steiniger Weg gewesen. Aber das alles lag jetzt weit hinter ihr. Sie hatte ihren Weg gefunden.
Zumindest redete sie sich das gerne ein.
Erneut erschien Goddards Gesicht auf dem Bildschirm, diesmal jedoch nicht als Aufzeichnung.
»Ah, Lieutenant. Danke für Ihre prompte Antwort.«
»Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?«
»Indem Sie ganz schnell Ihre Sachen zusammenpacken.«
Sie starrte ihn verblüfft an. »Packen, Sir? Wie soll ich das …«
»Sie wurden wieder in den aktiven Dienst versetzt, Lieutenant. Sie gehen nächste Woche an Bord der
Excalibur.«
»Sir … nein«, sagte sie fassungslos. »Ich will nicht … ich möchte keine Stellung an Bord eines Schiffes. Ich dachte, das wäre allen Betreffenden klar. Mein Platz ist hier, auf der Erde.«
»Es heißt ‚Sternenflotte‘, Lieutenant, und nicht ‚Erdenflotte‘. Ich fürchte, Sie können sich nicht ewig hier verstecken.«
»Bei allem Respekt, Sir, ich verstecke mich nicht. Ich erfülle eine Aufgabe, und zwar eine sehr wichtige.«
»Ihre Aufgabe könnte genauso gut von mindestens hundert anderen Leuten erfüllt werden, die zurzeit in der Warteschlange stehen und dafür ebenso qualifiziert sind wie Sie. Sie werden als Wissenschaftsoffizier auf der
Excalibur
gebraucht, und Sie sind die Person, die auf einzigartige Weise für diesen Job geeignet ist. Außerdem wurden Sie von höchster Stelle empfohlen.«
»Wissenschaftsoffizier …? Empfehlung …?« Sie verzweifelte beinahe an ihren plötzlichen Schwierigkeiten, in vollständigen Sätzen zu kommunizieren. »Wer hat mich
Weitere Kostenlose Bücher