Starbuck. Der Verräter (German Edition)
Lieutenant runzelte in offenkundiger Missbilligung von Hardings Grobheit die Stirn. Er hatte die Ledertasche auf den Tisch gelegt und nahm nun eine Mappe heraus. Er löste die grünen Bänder der Mappe, schlug sie auf und sah die Papiere durch, die darin lagen. «Nathaniel Joseph Starbuck, ja?»
«Ja.»
«Derzeit ansässig in der Franklin Street, im alten Haus von Burrell, ja?»
«Ich weiß nicht, wer früher dort gewohnt hat.»
«Josiah Burrell, ein Tabakfabrikant. Die Familie musste schwere Zeiten durchmachen, wie so viele dieser Tage. Nun, lassen Sie mich sehen.» Der Lieutenant lehnte sich zurück, sodass sein Stuhl unheilvoll knarrte, dann nahm er die Brille ab und rieb sich erschöpft über die Augen. «Ich werden Ihnen einige Fragen stellen, Starbuck, und Ihre Rolle, wie Sie sich wohl denken können, ist, diese Fragen zu beantworten. Normalerweise werden solche Fälle selbstverständlich vor Gericht verhandelt, aber wir sind im Krieg, und ich fürchte, angesichts der dringenden Notwendigkeit, die Wahrheit herauszubekommen, kann man sich nicht mit dem langatmigen Geschwätz von Anwälten aufhalten. Verstehen Sie?»
«Eigentlich nicht. Ich möchte wissen, was zum Teufel ich hier soll.»
Die Wachmänner hinter Starbuck knurrten drohend über seine Aufsässigkeit, aber der Lieutenant hob beschwichtigend die Hand. «Das werden Sie bald erfahren, Starbuck, das verspreche ich Ihnen.» Er setzte die Brille wieder auf. «Ich habe es versäumt, mich vorzustellen. Wie nachlässig. Ich bin Lieutenant Gillespie, Lieutenant Walton Gillespie.» Er betonte den Namen, als müsse Starbuck ihn kennen, aber Starbuck zuckte bloß mit den Schultern. Gillespie nahm einen Bleistift aus seiner Uniformtasche. «Sollen wir anfangen? Sie wurden wo geboren?», fragte Gillespie.
«Boston», sagte Starbuck.
«Und wo genau, bitte?»
«Milk Street.»
«Im Hause Ihrer Eltern, ja?»
«Großeltern. Die Eltern meiner Mutter.»
Gillespie machte sich eine Notiz. «Und Ihre Eltern wohnen jetzt wo?»
«Walnut Street.»
«Tatsächlich? Wie schön für sie! Ich war vor zwei Jahren in Boston und hatte die Ehre, Ihren Vater die Bibel auslegen zu hören.» Gillespie lächelte in offenkundiger Freude über diese Erinnerung. «Fahren wir fort», sagte er und stellte Starbuck weitere Fragen zu seinem Schulbesuch und dem Studium am Theologischen Seminar der Universität Yale und darüber, wie er bei Kriegsbeginn in den Süden gekommen war und wie er in der Legion Faulconer gekämpft hatte.
«So weit, so gut», sagte Gillespie, als er sich Starbucks Bericht über Ball’s Bluff angehört hatte. Er wendete ein Blatt um und runzelte die Stirn bei dem, was auch immer er nun las. «Wann haben Sie John Scully kennengelernt?»
«Nie von ihm gehört.»
«Price Lewis?»
Starbuck schüttelte den Kopf.
«Timothy Webster?»
Starbuck zuckte mit den Schultern, um zu zeigen, dass er Webster ebenfalls nicht kannte.
«Ich verstehe», sagte Gillespie in einem Ton, der andeutete, dass ihn Starbucks Leugnen überaus verwirrte. Er machte sich immer noch stirnrunzelnd eine Notiz, dann setzte er die Brille ab und massierte sich den Nasenrücken. «Wie lautet der Name Ihres Bruders?»
«Ich habe drei Brüder. James, Frederick und Sam.»
«Wie alt sind sie?»
Starbuck musste nachdenken. «Sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig, siebzehn und dreizehn.»
«Der älteste. Sein Name lautet?»
«James.»
«James.» Gillespie wiederholte den Namen, als hätte er ihn noch nie zuvor gehört. Im Innenhof schrie plötzlich ein Mann auf, und Starbuck hörte das scharfe Zischen, mit dem eine Peitsche durch die Luft fuhr, und dann das Klatschen, mit dem die Peitsche ihr Ziel traf. «Habe ich die Tür zugemacht, Harding?», fragte Gillespie.
«Die ist fest zu, Sir.»
«Dieser Lärm, schrecklich. Sagen Sie mir, Starbuck, wann haben Sie James das letzte Mal gesehen?»
Starbuck schüttelte den Kopf. «Das muss lange vor dem Krieg gewesen sein.»
«Vor dem Krieg», sagte Gillespie, während er es aufschrieb. «Und wann haben Sie den letzten Brief von ihm bekommen?»
«Das war auch vor dem Krieg.»
«Vor dem Krieg», wiederholte Gillespie erneut, dann nahm er ein kleines Federmesser aus seiner Tasche. Er klappte die Klinge aus und spitzte seinen Bleistift, dann schob er die Holzkringel und Bleireste betulich am Rand des Tischs zu einem säuberlichen Häufchen zusammen. «Was sagt Ihnen der Konföderierte Armee-Bibelversorgungsverein?»
«Nichts.»
«Ich verstehe.»
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