Starbuck. Der Verräter (German Edition)
die Verteidigungsstellungen von Richmond erfahren», erklärte Pinkerton. «Wir werden eine Belagerung durchführen, Nate. Unsere Kanonen gegen ihre Erdwälle, und wir wollen, dass Ihr Freund uns sagt, welche Forts am schwächsten sind.» Pinkerton sah wieder James an. «Ist das frisches Brot, Jimmy?»
«Guter Gott!» James beachtete die Frage seines Vorgesetzten nicht, sondern starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Ausgabe des
Examiners
aus Richmond, die frisch hereingekommen war. «Nein, so was», sagte er dann.
«Brot, Jimmy?», versuchte es Pinkerton erneut.
«Henry de’Ath ist tot», sagte James, ohne den Hunger seines Vorgesetzten wahrzunehmen. «Nein, so was.»
«Wer?», fragte Pinkerton.
«Achtzig Jahre ist er auch noch geworden! Ein schönes Alter für einen so schlechten Menschen. Nein, so was.»
«Vom wem zum Teufel reden Sie da?», wollte Pinkerton wissen.
«Henry de’Ath», sagte James. «Damit geht eine Epoche zu Ende, das steht fest.» Er beugte sich etwas dichter über die verschmierte Druckerschwärze der Zeitung. «Hier steht, er ist im Schlaf gestorben. Was für ein Schurke, was für ein Schurke!»
Starbuck überlief ein Schauer, aber er wagte es nicht, seine plötzliche Besorgnis zu zeigen. Vielleicht war Henry de’Ath nicht der Mann, der Starbuck über die gegnerischen Linien geschickt hatte, sondern nur ein anderer mit demselben Familiennamen. «Was für eine Art Schurke?», fragte er.
«Er hatte Prinzipien wie eine Hyäne», sagte James, wenn auch mit einem Hauch Bewunderung in der Stimme. Als Christ musste er de’Aths Ruf missbilligen, aber als Anwalt beneidete er den Mann um seine Durchsetzungsfähigkeit. «Er war der einzige Mann, den Andrew Jackson nicht zum Duell fordern wollte», fuhr James fort, «vermutlich weil de’Ath damals schon sechs Männer getötet hatte, vielleicht waren es auch mehr. Er war tödlich mit einem Schwert oder einer Pistole. Und im Gerichtssaal auch. Ich weiß noch, wie mir Richter Shaw einmal erzählt hat, de’Ath habe vor ihm damit geprahlt, dass er wissentlich mindestens ein Dutzend Männer unschuldig an den Galgen gebracht hat. Shaw hat natürlich protestiert, aber de’Ath hat behauptet, der Baum der Freiheit würde mit Blut gedüngt, und dann hat er Shaw gesagt, er solle nicht so wählerisch dabei sein, ob es nun das Blut eines Schuldigen oder eines Unschuldigen ist.» James schüttelte über diese Bösartigkeit vorwurfsvoll den Kopf. «Er hat immer behauptet, ein halber Franzose zu sein, aber Shaw war davon überzeugt, dass er ein unehelicher Sohn Thomas Jeffersons war.» James wurde tatsächlich rot bei diesem Anwaltstratsch. «Ich bin sicher, das stimmt nicht», fügte er hastig hinzu, «aber dieser Mann hat solche Übertreibungen einfach herausgefordert. Jetzt steht er vor seinem letzten Richter. Jeff Davis wird ihn vermissen.»
«Warum?», fragte Pinkerton.
«Die beiden haben zusammengehalten wie Pech und Schwefel, Sir», sagte James. «De’Ath war eine
eminence grise
. Muss einer von Davis’ engsten Beratern gewesen sein.»
«Dann danken wir Gott, dass der Bastard seinen letzten Atemzug getan hat», sagte Pinkerton gut gelaunt. «Also, ist dieses Brot frisch?»
«Das ist es, Chief», sagte James. «Ganz frisch.»
«Schneiden Sie mir ein Stück ab, wenn es recht ist. Und für einen Hühnchenschenkel wäre ich auch dankbar. Ich habe mir gedacht», sagte Pinkerton, nachdem er sich sein Mittagessen gesichert hatte, und drehte sich zu Starbuck um, «dass wir Sie heute Abend über den James rudern. Wir müssen sie ein oder zwei Stunden Fußmarsch von Petersburg entfernt absetzen, und von dort aus müssen Sie sich selbst nach Norden durchschlagen. Glauben Sie, dass Sie das schaffen?»
«Ganz bestimmt, Sir», sagte Starbuck und war erstaunt, dass seine Stimme so normal klang, denn in seinem Inneren herrschte Aufruhr und Angst. Ihm war schlecht. De’Ath tot? Wer würde nun in Richmond für Starbuck bürgen? Wer in der Konföderation konnte garantieren, dass er kein Deserteur war? Starbuck erschauerte. Er konnte nicht zurück! Wie ein eisiger Schock drang die Erkenntnis in sein Bewusstsein. Nur de’Ath konnte für ihn bürgen, und ohne de’Ath hatte er in Richmond keine Freunde. Ohne de’Ath würde er als Doppelagent dastehen, doppelt verabscheuungswürdig, und ohne de’Ath würde er niemals in den Süden zurückkehren können, ganz zu schweigen von einem Wiedereintritt in die Legion.
«Sie wirken beunruhigt, Nate!», sagte
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