Starbuck. Der Verräter (German Edition)
in dem er Quartier bezogen hatte. Häuser waren rar in Manassas, so rar, dass die meisten Männer unter dem Rang eines Lieutenant Generals gezwungen waren, in Zelten zu wohnen, daher bewies die Tatsache, dass dieser Zivilist ein ganzes Haus für sich allein hatte, seine bedeutende Stellung. An die Haustür war mit Kreide «Major E. J. Allan» geschrieben worden, doch der Mann war weder Soldat, noch trug er den Familiennamen Allan, vielmehr war er ein Zivilist, der gern Pseudonyme und Verkleidungen benutzte. Sein echter Name lautete Allan Pinkerton, und er war Detective bei der Polizei von Chicago gewesen, bevor ihn General McClellan zum Leiter des militärischen Geheimdienstes der Potomac-Armee ernannt hatte. Nun, im flackernden Licht der Kerzen, sah Pinkerton zu einem großen, nervösen Offizier auf, der aus der Nachhut der Armee zu ihm gebracht worden war. «Sie sind Major James Starbuck?»
«Ja Sir», gab James Starbuck mit der vorsichtigen Art eines Mannes zurück, der in jeder Vorladung ein Zeichen für Probleme sieht. Von seinem Rang als hoher Stabsoffizier, dem der Armeeführer seine Geheimnisse anvertraut hatte, war er zu einer Tätigkeit bei der Proviantabteilung des 1 st Corps abgestiegen. Seine neuen Pflichten bestanden darin, für die Versorgung mit Trockengemüse, Mehl, getrocknetem Rindfleisch und gepökeltem Schweinefleisch, Hartkeksen, Kaffe und Bohnen zu sorgen, Pflichten, die er gewissenhaft erfüllte, doch so viele Nahrungsmittel er auch beschaffte, sie schienen niemals zu genügen, sodass sich die Offiziere sämtlicher Regimenter und Batterien und Truppen berechtigt fühlten, ihn als unfähigen, verblödeten Sohn einer frömmlerischen Kuh zu beschimpfen. James wusste, dass er solche Beleidigungen nicht beachten sollte, doch sie trafen und beschämten ihn. Er hatte sich selten im Leben so elend gefühlt.
Nun sah James zu seinem Erstaunen, dass der Mann, der Allan genannt wurde, Adams langen Brief musterte, den James im Jahr zuvor an Major General McClellans Hauptquartier geschickt hatte. Soweit James wusste, war der Brief vom Oberkommando der Armee nicht weiter beachtet worden, und weil James weder die Stellung noch den Charakter hatte, um irgendwen von der Wichtigkeit des Briefes zu überzeugen, hatte er angenommen, das Schreiben sei längst vergessen. Doch nun hatte dieser unscheinbare Major Allan endlich seine Bedeutung erkannt. «Und wer hat Ihnen diesen Brief gegeben?», wollte Pinkerton wissen.
«Ich habe versprochen, es nicht zu sagen, Sir.» James fragte sich, warum er diesen schäbigen kleinen Mann «Sir» nannte. Allan stand im Rang nicht über James, doch irgendetwas an der streitlustigen Haltung des Mannes brachte James’ natürliche Untertänigkeit zum Vorschein, wenn er auch zugleich ein winziges bisschen Eigensinn bewies, indem er sich vornahm, die respektvolle Anrede nicht mehr zu benutzen.
Pinkerton drückte mit einem schwieligen Finger den Tabak in seiner Pfeife fest, dann hielt er den Pfeifenkopf an eine Kerzenflamme und rauchte sie an. «Sie haben einen Bruder bei den Rebellen?»
James errötete, und das war kein Wunder, denn Nates Verrat machte der gesamten Familie Starbuck unglaubliche Schande. «Ja, Si– … Major. Das stimmt, leider.»
«Hat er diesen Brief geschrieben?»
«Nein, Si– … Major. Nein, das hat er nicht. Ich wünschte, er hätte es getan.»
Pinkertons Pfeife blubberte, als er an dem kurzen Stiel sog. Windböen fuhren gegen das Fenster, heulten im Kamin und trieben eine dicke Rauchschwade in das Zimmer zurück. «Wenn ich Ihnen versichere, dass man mir vertrauen kann, Major», sagte Pinkerton, dessen Stimme bei diesen Worten die weiche Aussprache seines Geburtslandes Schottland annahm, «und wenn ich die Hand aufs Herz lege und mein Ehrenwort gebe, und wenn ich bei meiner verstorbenen Mutter schwöre und auf alle Bibeln in ganz Nordamerika, und wenn ich Ihnen durch diesen Schwur versichere, dass ich nie, niemals und vor niemandem den Namen Ihres Informanten preisgeben würde, werden Sie es mir dann sagen?»
James geriet in Versuchung. Wenn er Adams Namen verriet, würde er vielleicht von diesem schrecklichen Posten in der Verpflegungseinheit abgezogen. Aber er hatte sein Wort gegeben, und er würde es nicht brechen, und deshalb schüttelte er einfach nur den Kopf. «Nein, Major, ich würde es Ihnen nicht sagen. Ich würde Ihnen vertrauen, aber ich könnte mein Wort nicht brechen.»
«Gut für Sie, Starbuck. Gut für Sie.» Pinkerton verbarg
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