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Starbuck. Der Verräter (German Edition)

Starbuck. Der Verräter (German Edition)

Titel: Starbuck. Der Verräter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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war, das ihm an der einfach gekleideten Julia Gordon so gefallen hatte. Lag es daran, fragte er sich, dass die Missionarstochter eine Welt der Frömmigkeit, Intelligenz und Unschuld repräsentierte, die er durch seine Abkehr für immer verloren hatte?
    «Ich finde, sie hat ein bisschen wie eine Lehrerin ausgesehen», sagte Sally und hängte sich bei Starbuck ein.
    «Und genau das braucht Adam vermutlich», sagte Starbuck.
    «Auf keinen Fall. Sie ist viel zu stark für ihn», sagte Sally vernichtend. «Adam war schon immer ein Zauderer. Konnte sich nie entscheiden, ob er rechts oder links entlang wollte. Aber er hat mich immer noch nicht erkannt, oder?»
    Starbuck lächelte über das Vergnügen, das Sally daran hatte. «Nein, hat er nicht.»
    «Er hat mich sehr seltsam angesehen, als würde er denken, dass er mich kennen müsste, aber er konnte mich nicht einordnen!» Sally war begeistert. «Glaubst du, sie laden uns wirklich zum Tee ein?»
    «Vermutlich, aber wir werden nicht hingehen.»
    «Aber warum denn nicht?», fragte Sally, während sie in Richtung Franklin Street gingen.
    «Weil ich mein ganzes Leben in verdammten, ehrenwerten Haushalten von Evangelikalen zugebracht habe und versuche, sie endlich loszuwerden.»
    Sally lachte. «Nicht einmal für dein Bibelmädchen würdest du hingehen?», neckte sie Starbuck. «Aber ich möchte hin.»
    «Möchtest du ganz bestimmt nicht.»
    «Möchte ich doch. Ich möchte sehen, wie die Leute leben und wie sie sich verhalten. Ich war noch nie bei respektablen Leuten eingeladen. Oder schämst du dich für mich?»
    «Natürlich nicht!»
    Sally blieb stehen und brachte Starbuck dazu, ihr ins Gesicht zu sehen. In ihren Augen standen Tränen. «Nate Starbuck! Schämst du dich etwa dafür, mich in ein anständiges Haus mitzunehmen?»
    «Nein!»
    «Weil ich meinen Unterhalt auf dem Rücken liegend verdiene? Ist das der Grund?»
    Er nahm ihre Hand und küsste sie. «Ich schäme mich nicht für dich, Sally Truslow. Ich glaube einfach, du würdest dich langweilen. Das ist eine stumpfsinnige Welt. Eine Welt ohne Krinolinen.»
    «Ich will es sehen. Ich will sehen, wie man respektabel ist.» Aus ihrer Stimme klang herzergreifende Bockigkeit.
    Starbuck vermutete, dass dieser perverse Wunsch Sallys wohl eine vorübergehende Laune bleiben würde und er deshalb besser keine Einwände erhob. «Sicher», sagte er, «wenn sie uns einladen, gehen wir hin. Ich verspreche es dir.»
    «Ich werde nie irgendwohin eingeladen», sagte Sally, immer noch den Tränen nah, als sie weitergingen. «Ich möchte irgendwohin eingeladen werden. Ich kann mir einen Abend frei nehmen.»
    «Dann gehen wir», sagte Starbuck beschwichtigend, und er fragte sich, was wohl passieren würde, wenn der Missionar mitbekam, dass seine Frau eine Hure zum Tee eingeladen hatte, und dieser Gedanke ließ ihn laut auflachen. «Wir gehen ganz bestimmt hin», versprach er. «Ganz bestimmt.»
     
    Julia neckte Adam wegen Sally. «War sie nicht etwas zu sehr herausgeputzt?»
    «Da hast du entschieden recht.»
    «Aber sie hat dich bezaubert.»
    Adam war ein zu offener Charakter, um Julias Neckerei zu erkennen. Stattdessen errötete er. «Ich versichere dir …»
    «Adam!», fiel ihm Julia ins Wort. «Ich halte Miss Royall für eine bemerkenswerte Schönheit! Der Mann, dem das nicht auffällt, müsste aus Stein sein.»
    «Daran lag es nicht», sagte Adam ehrlich, «aber ich hatte das Gefühl, sie schon einmal irgendwo gesehen zu haben.» Er stand im Wohnzimmer des kleinen Hauses Reverend Gordons in der Baker Street. Es war ein düsterer Raum, in dem es stark nach Möbelwachs roch. Die verglasten Bücherregale enthielten Kommentare zur Bibel und Berichte vom Missionsleben in heidnischen Ländern, und das einzige Fenster ging auf die Grabsteine des Shockoe-Friedhofs hinaus. Das Gebäude stand in einem sehr bescheidenen Viertel Richmonds, ganz in der Nähe des Armenhauses, des Bedürftigenspitals, des städtischen Obdachlosenheims und eben des Friedhofs. Und Reverend Gordon konnte sich auch kein besseres Haus leisten, denn in der Amerikanischen Gesellschaft zur Verkündigung des Evangeliums unter den Armen galt die Regel, dass die Missionare inmitten ihrer Schäfchen leben sollten, und um dies sicherzustellen, hielten die Treuhänder die Besoldungen ihrer Missionare auf einem kläglich niedrigem Niveau. Die Treuhänder waren allesamt Nordstaatler, und es war ihr Geiz, der Mrs. Gordons eifriges Festhalten an der Sache der Südstaaten

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