Stark (Dark Half)
mir im Herzen wohl, Sie sagen zu hören, daß Sie keine Theorie haben. Das ist nicht viel, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Was ich Ihnen zu erklären versuchte, ist, daß Fingerabdrücke und Stimmanalysen nichts zu besagen haben, und Stark weiß das. Da können Sie noch so viel davon reden, daß Sie das Unmögliche eliminieren müssen, um akzeptieren zu können, was übrigbleibt, so unwahrscheinlich es sich auch anhört. Aber das funktioniert nicht. Sie akzeptieren Stark nicht, und er ist das, was übrigbleibt, wenn Sie alles andere eliminiert haben. Lassen Sie es mich anders ausdrücken, Alan: wenn Sie so viele Beweise für einen Gehirntumor hätten, dann würden Sie ins Krankenhaus gehen und sich operieren lassen, selbst wenn zu befürchten steht, daß Sie nicht lebend wieder herauskommen.« Alan öffnete den Mund, schüttelte den Kopf und machte den Mund wieder zu. Abgesehen vom Ticken der Uhr und dem leisen Plappern und Krähen der Zwillinge war es still in dem Wohnzimmer, in dem Thad immer stärker das Gefühl hatte, er hätte sein ganzes Erwachsenenleben darin verbracht.
»Auf der einen Seite haben Sie genug Beweise, um damit vor Gericht einen Indizienprozeß führen zu können«, faßte Thad leise zusammen.
»Auf der anderen Seite haben Sie die unbewiesene Behauptung einer Stimme am Telefon, die sagt, daß er >zur Vernunft gekommen< ist, daß er >jetzt weiß, wer er ist<. Dennoch sind Sie drauf und dran, der Behauptung mehr Gewicht beizumessen als dem Beweismaterial.«
»Nein, Thad, das stimmt nicht. Ich akzeptiere keine einzige Behauptung, nicht Ihre, nicht die Ihrer Frau und schon gar nicht die, die der Mann am Telefon aufgestellt hat. Ich habe mich bisher in keiner Weise festgelegt.«
Thad deutete mit dem Daumen über seine Schulter hinweg zum Fenster. Hinter den sanft wehenden Gardinen konnten sie den Streifenwagen der Polizisten sehen, die das Haus der Beaumonts bewachten.
»Und was ist mit denen? Haben die sich auch noch nicht festgelegt? Ich wünschte bei Gott, Sie könnten hierbleiben, Alan - ich hätte lieber Sie hier als eine ganze Armee von Staatspolizisten, weil Sie zumindest ein Auge halb offenhalten, während bei denen beide Augen fest zugekniffen sind.«
»Thad.. .«
»Es ist so«, sagte Thad. »Sie wissen es, und er weiß es auch. Er wird abwarten. Und wenn jedermann überzeugt ist, daß es vorüber ist und den Beaumonts nichts passieren wird, wenn sämtliche Polizisten ihre Zelte abgebrochen haben und abgezogen sind, dann wird George Stark hier auftauchen.«
Er hielt inne, und auf seinem Gesicht lag ein dunkler, vielschichtiger Ausdruck. Alan sah, wie Bedauern, Entschlossenheit und Angst in diesem Gesicht miteinander kämpften.
»Ich muß Ihnen etwas sagen - Ihnen und Liz. Ich weiß ganz genau, was er will. Er will, daß ich einen weiteren Roman unter Starks Namen schreibe - wahrscheinlich einen über Alexis Machine. Ich weiß nicht, ob ich das könnte, aber wenn ich glaubte, es käme etwas Gutes dabei heraus, würde ich es tun. Ich würde noch heute abend The Golden Dog in die Schublade packen und damit anfangen.«
»Thad, nein!« rief Liz.
»Ich werde es nicht tun«, sagte er, »denn es würde mich umbringen. Fragt mich nicht, woher ich das weiß; ich weiß es einfach. Und ich würde es vielleicht trotzdem versuchen, wenn mein Tod allem ein Ende machen würde. Aber ich glaube nicht, daß das der Fal wäre. Ich kann einen Menschen wie diesen nicht auf die Welt loslassen. Weil ich überzeugt bin, daß er im Grunde überhaupt kein Mensch ist.«
Alan schwieg.
»So stehen die Dinge!« sagte Thad mit der Aura eines Mannes, der ein wichtiges Geschäft zum Abschluß gebracht hat. »Ich kann es nicht, ich will es nicht, ich darf es nicht. Das bedeutet, daß er kommen wird. Und wenn er kommt - Gott weiß, was dann passiert.«
»Thad«, sagte Alan verlegen, »Sie brauchen ein bißchen Abstand von dieser Sache, das ist alles. Und wenn Sie den haben, dann wird das meiste davon - weggeblasen sein. Wie eine Pusteblume. Wie ein böser Traum am Morgen.«
»Was wir brauchen, ist nicht Abstand«, sagte Liz. Sie schauten zu ihr hinüber und sahen, daß sie lautlos weinte. Nicht sehr, aber die Tränen waren da. »Was wir brauchen, ist jemand, der ihn umbringt.«
4
Alan fuhr noch in der Nacht nach Castle Rock zurück und traf kurz vor zwei Uhr morgens dort ein. Er schlich sich so leise wie möglich ins Haus, wobei er feststellte, daß Annie wieder vergessen hatte, die
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