Stark gegen Stress
unkonzentriert und sozial unverträglich. Stress trifft den Menschen als Ganzes, er wirkt sich auf der körperlichen und auf der psychischen Ebene wie auch auf der Verhaltensebene und im sozialen Kontext aus. So weit, so bekannt – doch welches sind die körperlichen Mechanismen, die diese Zustände auslösen? Es sind fein aufeinander abgestimmte Vorgänge, die im Gehirn ihren Ausgangspunkt haben und die einen immer wieder staunen lassen darüber, wie komplex der Mensch funktioniert.
Erbe der Evolution
Zwar hausen wir nicht mehr in Höhlen, und wir kaufen unser Essen im Laden nebenan oder beim Grossverteiler, doch gewisse evolutionsbedingte Mechanismen in uns sind bis dato unverändert geblieben. Dazu gehören die nicht willentlich steuerbaren Reaktionen auf Stress, die dafür sorgten, dass sich unsere Vorfahren gegen die Gefahren in der Natur zur Wehr setzen oder rechtzeitig fliehen konnten. Flucht oder Kampf, das war die Frage, die häufig über Leben und Tod entschied. Beide Aktivitäten brauchen die volle Aufmerksamkeit des Organismus und eine Menge Energie; es sind diese beiden Voraussetzungen, die durch die körperlichen Reaktionen auf Stress sofort geschaffen werden.
Allerdings: Flucht oder Kampf, diese Frage erweist sich heute nur noch selten als entscheidend. Natürlich kann es vorkommen, dass man am späten Abend durch eine Unterführung geht und von Randalierern angerempelt wird oder dass man sonst in eine gefährliche Situation gerät, in der man blitzschnell reagieren muss. Doch die meisten Stresssituationen heute sind Leistungssituationen oder soziale Konfliktsituationen – und da ist Körpereinsatz nicht gefragt. So bleiben wir auf der bereitgestelltenEnergie sitzen, meist ganz wörtlich. Unsere Stressmechanismen sind also insofern überholt, als sie nicht Schritt halten konnten mit den Veränderungen und Anforderungen der modernen Welt. Neuer Lebensmodus, alte Mechanismen: Das spielt keine Rolle und schadet auch der Gesundheit nicht, sofern sich der Körper in einer Stresssituation innert nützlicher Frist wieder auf Normalwerte einpendeln kann. Gefährlich und schädlich wird es dagegen, wenn der Stresspegel anhaltend hoch und die Alarmbereitschaft daueraktiviert ist.
INFO Die alten stammesgeschichtlich bedingten Reaktionen schlagen uns auch noch in anderer Hinsicht ein Schnippchen: In Stresssituationen, in denen das Gehirn auf Hochtouren laufen müsste, fliesst das Blut vermehrt in die periphere Muskulatur, also in Arme und Beine. Das erschwert klares Denken.
Sofort-Alarm und Energiemobilisierung
Der menschliche Organismus verfügt über zwei Mechanismen, die bei Stress aktiviert werden; über einen schnelleren und über einen langsameren. Bei Ersterem, einer Art Sofort-Alarm, reagiert das Gehirn, indem es einen Botenstoff namens Noradrenalin ausschüttet. Dieser wiederum löst die Produktion des Stresshormons Adrenalin aus. Adrenalin macht schlagartig hellwach und handlungsbereit; es aktiviert die Atmung (wir atmen schneller und flacher) und den Kreislauf (unser Herz schlägt schneller); die Schmerzempfindlichkeit nimmt ab.
Wenn der Stress dank des Sofort-Alarms bewältigt werden kann, baut sich das Adrenalin im Blut wieder ab, und der Körper kann sich erholen. Und wenn der Sofort-Alarm zur Bewältigung der Situation nicht ausreicht, wenn der Stress andauert? Dann bleibt der Organismus länger aktiviert; ein zweiter Mechanismus kommt zum Zug, der langsamer einsetzt und hauptsächlich dazu dient, Energie bereitzustellen. Zu diesem Zweck werden im Gehirn Hormone aktiviert, die zur Ausschüttung von Kortisol führen.
Kortisol ist neben Adrenalin das zweite wichtige Stresshormon und ein extrem potenter Stoff, der im Körper auf ganz verschiedenen Ebenen wirkt. Er sorgt unter anderem dafür, dass mehr Blutzucker für die Gehirnarbeitund mehr notwendige Fettsäuren bereitgestellt werden. Zudem erhöht Kortisol kurzfristig die Schlagkraft des Immunsystems, damit dieses gegen Fremdkörper gewappnet ist, die zum Beispiel durch eine offene Wunde eindringen könnten.
Wäre nun das Immunsystem langfristig hochaktiviert, könnte es zu überschiessenden autoimmunen Reaktionen wie Allergien oder zu Entzündungen kommen. Damit dies nicht geschieht, gibt es in diesem langsameren Stressmechanismus eine Rückkoppelungsfunktion: Viel Kortisol im Blut hemmt im Gehirn die weitere Ausschüttung derjenigen Hormone, die ihrerseits die Produktion von Kortisol veranlassen.
INFO Beide Mechanismen, der
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