Stark gegen Stress
einschätzen. Sie wird zudem eher der Überzeugung sein, dass sie eine Sachlage beeinflussen und etwas bewirken kann. Ihr Stresshaus steht auf stabilem Fundament. Dagegen lassen sich Menschen mit schwächerem Selbstwert leicht verunsichern, wenn Druck von aussen kommt, Kritik an sie herangetragen wird oder wenn sie sonst in irgendeiner Weise mit einer stressigen Situation konfrontiert sind. Sie sind schneller bereit, sich selber in Frage zu stellen, ihre Ressourcen zu unterschätzen, sich und ihre Leistungen abzuwerten oder positive Ausgänge dem Zufall zuzuschreiben. Und sie sind vielfach der Überzeugung, dass sie eine Situation nicht beeinflussen können, dass sie ausgeliefert sind und dass das, was sie unternehmen, kaum relevant ist und wirkungslos bleibt. Ihr Stresshaus steht auf eher wackligem Fundament.
HINWEIS Man wird nicht mit einem guten oder mit einem schlechten Selbstwert geboren. Der Grundstein für das Fundament wird in den Kleinkindjahren gelegt, wenn es darum geht, wie sicher die Bindung zur engsten Bezugsperson aufgebaut werden kann. Im Verlauf des weiteren Lebens verdichten sich diese Erfahrungen zur persönlichen Lerngeschichte. Allerdings gilt: Nichts ist ein für alle Mal festgelegt. Nachbessern geht immer. Auch wenn Ihr Selbstwert zurzeit nicht der beste sein sollte: Veränderungen sind möglich.
Bindung und Selbstwert
Um zu verstehen, wie sich der Selbstwert eines Menschen entwickelt, ist ein Blick auf die Kleinkindjahre und die bisherigen Lebenserfahrungen nötig. Nun fragen Sie sich vielleicht: «Wie bitte? Dass ich heute so viel Stress habe, soll damit zusammenhängen, wie ich als Baby behandelt wurde?»
Dem ist in der Tat so – mindestens teilweise. Die Erfahrungen, die Sie bis heute gemacht haben, sind dafür verantwortlich, wie stabil Ihr Stresshaus gebaut ist. Und das fängt früh an: Der erste Grundstein für den Selbstwert wird im Wesentlichen im Alter zwischen sechs Monaten und ungefähr zwei Jahren gelegt, danach formt er sich mit allen weiteren Lernerfahrungen laufend aus. Er wird durch positive oder negative Rückmeldungen von Eltern, Lehrpersonen, Gleichaltrigen und anderen Personen auf Ihr Verhalten ausgeformt, und er wird dadurch beeinflusst, ob Ihre Bedürfnisse angemessen erkannt werden und wie die Ursachen für Ihre Erfolge und Misserfolge zugeschrieben werden.
Frühe Erfahrungen mit nachhaltiger Wirkung
In der Kleinkindphase spielt sich Entscheidendes ab, denn hier erfährt ein kleiner Mensch im Idealfall emotionale Bindungssicherheit 1 durch die Verlässlichkeit der Eltern und ihre prompten und angemessenen Reaktionen auf seine Bedürfnisse. Wenn ein Säugling weint oder schreit, weil er Angst hat, Nahrung braucht, Zuneigung erfahren und gehalten werden möchte oder frische Windeln benötigt, und wenn die Eltern richtig erkennen, was er braucht, und zeitnah und angemessen darauf reagieren, dann macht das Kind wichtige Erfahrungen:
▪ Erstens erfährt es emotionale Sicherheit.
▪ Zweitens macht es eine Kontrollerfahrung: «Ich kann mit meinem Verhalten die Umwelt zum Handeln bewegen, ich habe Einfluss, man reagiert auf meine Bedürfnisse, wenn ich sie kundtue.»
▪ Drittens erlebt es seine Wertigkeit: «Ich bin wichtig genug, dass man sich um mich kümmert, meine Bedürfnisse erkennt, ihnen Raum gibt und auf sie reagiert.»
Alle drei Aspekte sind für die spätere Stressbewältigung von Belang.
Die Rolle der engsten Bezugsperson
Menschenbabys sind hilflos (und bleiben es im Vergleich zu Tierbabys, die in der Regel schnell auf eigenen Beinen stehen, sehr lange). Das Bindungssystem wird bei Stress des Kindes aktiviert, doch während es später selber mit Stress umzugehen lernen muss, ist es im Säuglings- und Kleinkindalter von den angemessenen Reaktionen der Bezugspersonen 2 abhängig. Es ist existenziell darauf angewiesen, dass die Mutter seine Bedürfnisse wahrnimmt, sie richtig interpretiert und prompt und angemessen reagiert. Ob die Mutter in der Lage ist, diese Leistung zu erbringen, hängt von ihrer Sensitivität ab, also davon, wie empfänglich sie für die Signale ihres Babys ist. Kann sie in den meisten Fällen die Bedürfnisse ihres Kindes erkennen und angemessen darauf reagieren, so macht das Kind die Erfahrung, dass seine Bindung zur Mutter zuverlässig und sicher ist; dass ihm ein Platz in der Welt zusteht und dass seine Bedürfnisse zählen; dass jemand dafür sorgt, dass es ihm gut geht. Das wirkt sich positiv auf das Stresserleben des kleinen
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