Stark gegen Stress
und herunterfiel, wenn es in der Schule nicht die beste Note schrieb: Welche Erklärungen gaben die Eltern dem Kind dafür? Welchen Kommentar gab die Lehrperson ab?
Stellen wir uns vor, dass ein Kind in einer Mathematikprüfung eine 5.5 geschrieben hat. Es freut sich über seine Leistung und kommt zufrieden nach Hause. Wie reagieren die Eltern? Sagen sie: «Prima, das ist ja eine super Note!»? Oder: «Was, nur eine 5.5? Hat es nicht für eine 6 gereicht, die Prüfung war doch einfach?» Solche Fremdinterpretationen und Rückmeldungen der wichtigsten Sozialisationspersonen summieren sich während der ganzen Kinder- und Jugendjahre, wirken sich auf den Selbstwert aus und bilden Überzeugungen aus in Fragen wie «Bin ich geschickt oder ungeschickt?», «Bin ich sozial gewandt oder linkisch?», «Bin ich fleissig oder faul?», «Bin ich intelligent oder dumm?», «Gelingt mir vieles, odermisslingt mir das meiste?», «Glauben meine Lehrerin, meine Mutter, mein Vater an mich?».
Wie reagierten die Eltern bei Erfolgen des Kindes? Spürte es ihren Stolz? Wurde es gelobt und für seine Leistungen belohnt? Oder hörte es auch da nur, dass andere noch besser seien, weniger lernen müssten oder dass alles nur Zufall und Glück gewesen sei?
All diese Erfahrungen zusammen bilden das Fundament des Stresshauses. Auch heute noch, Jahre später, wird man bei Erfolg oder Misserfolg an diese früheren Erfahrungen erinnert und davon beeinflusst. Bei günstigen Reaktionen der Umwelt wird ein Kind einen guten Selbstwert aufgebaut haben und als erwachsene Person selber zufrieden und stolz auf ihre Leistung sein können. Sie kennt ihren Wert, weiss, was sie zu leisten fähig ist. Bei einem niedrigen Selbstwert wird man sich auch später nicht am Erfolg freuen können, am Misserfolg verzagen, sich grämen und schämen. Wie soll man sich heute etwas zutrauen können, wenn einem jahrelang niemand etwas zugetraut hat?
HINWEIS Der bekannte Entwicklungspsychologe Jerome Kagan erzählte in einem Interview mit dem Magazin «Der Spiegel» (31/2012) ein sehr schönes Beispiel, wie ihm seine Mutter Selbstvertrauen gab, als er Probleme hatte: «Als ich fünf Jahre alt war, begann ich zu stottern. Meine Mutter aber sagte: ‹Das ist nicht schlimm, dein Geist arbeitet eben schneller als deine Zunge.› Und ich dachte: ‹Wow, das ist super, ich stottere bloss, weil ich so schlau bin.›»
Die Mutter hätte das Stottern auch als ein Defizit interpretieren können – was vielleicht dazu geführt hätte, dass der kleine Jerome an sich gezweifelt und nicht diese glanzvolle wissenschaftliche Karriere erlebt hätte.
Selbstwert und Kontrollüberzeugung
«Kontrollüberzeugung» ist ein psychologischer Begriff und beschreibt das Ausmass, in dem eine Person das Gefühl hat, ihr Schicksal oder mindestens den Verlauf eines Ereignisses oder einer Situation aktiv beeinflussen – eben kontrollieren – zu können. Es gibt internale und externale Kontrollüberzeugen.
Internale Kontrollüberzeugung
Menschen mit dieser Kontrollüberzeugung trauen sich zu, eine gegebene Situation zu beeinflussen; sie fühlen sich in der Lage, aktiv anzupacken, um den Lauf der Dinge zu verändern und auf den Ausgang einer Situation Einfluss zu nehmen.
INFO Ein intakter Selbstwert geht mit einer internalen Kontrollüberzeugung einher. Wenn Sie sich zutrauen, Dinge beeinflussen zu können, trauen Sie sich und Ihren Fähigkeiten. Sie wissen, was Sie zu leisten imstande sind. Diese Kontrollüberzeugung macht stark gegen Stress.
Externale Kontrollüberzeugung
Menschen mit einer externalen Kontrollüberzeugung sehen sich ohne Einflussmöglichkeiten. Sie versuchen weniger, eine Situation zu verändern, weil sie denken, dass es ohnehin nichts nützt. Ihr Selbstwert ist eher niedrig, sie trauen sich nicht zu, entscheidend auf den Ausgang einer Situation einwirken zu können. Externale Kontrollüberzeugungen sind stressverstärkend. Sie verhindern auch, dass man positive Erfahrungen macht und Erfolge erzielt. Dadurch schwächen sie den Selbstwert potenziell weiter.
Ist die Kontrollüberzeugung external-defensiv , so schreibt man wichtigen Menschen in der Umgebung Einfluss zu. Diese sind verantwortlich dafür, ob eine unbefriedigende Situation stressig bleibt oder nicht; diese entscheiden darüber, wie es einem geht. Man hängt von anderen Personen ab, von deren Laune, Macht und Willkür. Wie das Baby, das von seiner Mutter herumgetragen wird, obgleich es lieber in Ruhe gelassen werden
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