Stark gegen Stress
immer so. Das Lob, das ich von einigen Eltern bekommen habe, freut mich umso mehr. Ich habe in dieser Klasse einige anspruchsvolle Kinder und bin bisher ganz gut mit ihnen klargekommen. Die Anerkennung von aussen spiegelt, was ich auch selber wahrnehme: Ich mache einen guten Job.
▪ Variante 2: Der Grossteil der Eltern hat keine Wertschätzung ausgedrückt – das ist zwar immer so, aber es ärgert mich jedes Mal. Da kommt das wenige Lob, das ich von einigen Eltern bekommen habe, nicht dagegen an. Die Mehrheit der Eltern sieht nicht, was ich für ihre Kinder tue, wie ich mich täglich verausgabe für sie – und dies mehr als alle anderen Lehrkräfte. Das ist frustrierend.
▪ Variante 3: Gut, ein wenig Wertschätzung habe ich bekommen, das stimmt. Aber von wem? Kann denn der Vater, dessen Tochter Mühe beim Lesen hat, als einfacher Handwerker überhaupt beurteilen, was ich hier leiste? Von den statushöheren Eltern kam kein gutes Wort. Von denen hätte ich hören wollen, dass ich ein besonders engagierter Lehrer bin. Das hätte gezählt.
▪ Variante 4: Ja, es gab schon von zwei, drei Eltern ein Kompliment. Doch das Lob war nicht ehrlich gemeint. Diese Eltern machen das doch nur, damit ich ihrem Kind künftig wohlgesonnen bin. Die wollen mich ganz einfach kaufen – mit plumpem Geschleime. Doch darauf falle ich nicht herein.
▪ Variante 5: Die Eltern, die mir ein Kompliment machten, realisierten wohl, dass ich etwas enttäuscht und geknickt war, weil niemand meine Arbeit so richtig sieht und schätzt. Die hatten Mitleid mit mir und wollten mich aufmuntern.
▪ Variante 6: Alles in allem könnte ich zufrieden sein, immerhin gab es kaum Kritik und wenigstens ein paar lobende Worte. Doch wenn ich die anderen Lehrerkolleginnen höre, wie die offenbar gelobt wurden, ist meine Bilanz ja sehr mager.
▪ Variante 7: Die Eltern waren ganz nett, entweder neutral oder sogar positiv. Doch die können das zu wenig beurteilen. Ich selber sehe meine Schwächen am besten. Letztes Jahr habe ich nur einen Bruchteil der Klasse in die höhere Schule gebracht – naja, knapp die Hälfte, doch das genügt nicht. Ich müsste noch mehr Schülerinnen und Schülern diese Chance bieten können.
Es ist nicht schwer, zu erraten, welche Denkweisen stressverstärkend sind. Problematisch sind alle Varianten – ausser die erste:
▪ Variante 2: «Es könnte und sollte mehr sein!»
▪ Variante 3: «Von den wirklich wichtigen Leuten bekomme ich keine Anerkennung.»
▪ Variante 4: «Das ist nicht ehrlich gemeint.»
▪ Variante 5: «Das tun die aus Mitleid.»
▪ Variante 6: «Andere bekommen mehr.»
▪ Variante 7: «Die können meine Leistung gar nicht beurteilen.»
Gefährlicher sozialer Vergleich
Vergleiche mit anderen Menschen und mit deren Leistungen sind problematisch; sie sind Gift für das Gefühl, wertgeschätzt zu werden. Denn es gibt immer jemanden, der besser arbeitet, schöner aussieht oder klüger ist. Schwierig ist es aber auch, wenn man dem Lob der anderen nicht trauen kann, sich manipuliert fühlt oder gar denkt, dass man die Anerkennung nur aus Mitleid oder Berechnung erhalte.
Bei den Varianten 2 bis 7 im obigen Beispiel zählen die wohlwollenden Aussagen für Martin S. nicht, er kann sie nicht auf sein Wertschätzungskonto «verbuchen». Er bewertet seine eigenen bisherigen Leistungen als ungenügend und ist nicht zufrieden mit sich. Damit fällt der positive Effekt der Fremdanerkennung ins Leere.
Nur bei Variante 1 kann der Lehrer sich über das Lob der Eltern freuen. Und er gibt sich selber Anerkennung für das, was er bisher mit seiner Klasse erreicht hat. Diese Haltung ist stressreduzierend und beugt auch einem Burn-out vor.
HINWEIS Ein psychisches «Nichtverwertenkönnen» von Anerkennung, meist gepaart mit einem schwachen Selbstwert, ist schwer zu verändern. Achten Sie darauf, wie Sie auf Anerkennung anderer reagieren, ob Sie Denkmuster und Interpretationen wie bei Martin S. auch bei sich finden. Falls Sie erkennen, dass Sie kaum in der Lage sind, die Anerkennung anderer zu «verbuchen», suchen Sie nach den Gründen dafür. Nehmen Sie gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch. Es lohnt sich, denn sich geschätzt zu fühlen, verbessert das Wohlbefinden und ist ein wichtiger Schutz gegen Stress.
Zum Überlegen: Mein Umgang mit Fremd- und Selbstanerkennung
▪ Wenn Sie von jemandem ein Kompliment oder ein Lob bekommen: Was geht in Ihnen vor? Können Sie sich darüber freuen und annehmen, was die
Weitere Kostenlose Bücher