Stark gegen Stress
haben?
Wertschätzende Gesten oder Worte geniessen fast überall Seltenheitswert – vieles wird als selbstverständlich angesehen. «Was soll ich da loben? Es ist doch seine Sache, ob er gute Noten hat, er tut das ja schliesslich für sich.» – «Seine Leistung war gut, das stimmt. Aber er gehört ja dem Kader an, da sollte das selbstverständlich sein.» – «Gut, das Haus ist immer blitzblank. Wenn ich nach Hause komme, ist es schön gemütlich und einladend. Aber schliesslich ist das ihr Job. Ich mache ja auch meinen Job, und da sagt auch niemand Danke.»
Worte und Taten
Auf Belohnung und Anerkennung sind alle Menschen angewiesen: kleine und grosse Kinder, Erwerbstätige auf jeder Hierarchiestufe, der Partner und die Partnerin, Mütter und Hausfrauen, Freundinnen und Freunde usw. Es ist ein Gesetz des menschlichen Miteinanders: Wer etwas gibt, möchte auch etwas zurückbekommen. Das muss nicht immer gleich sein – und auch nicht das Gleiche. Aber über die Zeit hinweg sollten Geben und Nehmen ausgewogen sein. Sonst stellt sich ein Gefühl der Übervorteilung, des Ausgenutztwerdens, der mangelnden Wertschätzung ein, und es entsteht ein besonders nagender Stress. Das gilt nicht nur bei der Arbeit, sondern auch in der Partnerschaft und in jeder anderen Beziehung. Eine Ausnahme gibt es: Kleinkinder haben ein ungeschriebenes Recht darauf, von den Eltern ohne Gegenleistung und ohne Dankbarkeit nehmen zu dürfen. Doch schon bei älteren Kindern und Jugendlichen sieht es anders aus: Man erwartet von ihnen, dass etwas zurückkommt – seien es nun Worte oder Taten. Denn die Ausgewogenheit zwischen Geben und Nehmen ist wichtig für ein gutes Familienklima.
TIPP Ein gutes Wort ist schnell gegeben und kostet nichts. Tun Sie es so oft wie möglich, und tun Sie es möglichst spezifisch. Also nicht einfach: «Gut gemacht!», sondern: «Gut gemacht! Ich bewundere, wie du bei dieser schwierigen Kundin drangeblieben bistund eine Lösung gefunden hast.» Vorsicht: Ihre Wertschätzung sollte ehrlich gemeint und nicht einfach dahergeredet sein. Also lieber kein Lob als ein unaufrichtiges, denn der Empfänger bemerkt die Unaufrichtigkeit mit Garantie.
Sich selbst anerkennen, von anderen geschätzt werden
Wiederum spielt es in Bezug auf Ihr Stresserleben eine Rolle, wie Sie persönlich die Wertschätzung und Anerkennung, die Ihnen entgegengebracht wird, beurteilen. Und es spielt eine Rolle, ob Sie sich dann und wann selber innerlich auf die Schulter klopfen und zu sich selber sagen können: «Ich mache einen guten Job. Da bin ich stolz drauf.» Idealerweise bekommen Sie Anerkennung von anderen und können sich selber welche geben; dann sind Sie gut gewappnet gegen Stress und werden auch längerfristig viel zu leisten imstande sein.
Fremdanerkennung verbuchen
Sind Sie als Kind gelobt worden? Waren Ihre Eltern stolz auf Sie und haben Ihnen ihren Stolz gezeigt? Haben sie an Sie geglaubt und Sie unterstützt, wenn etwas nicht auf Anhieb klappte? Oder war nie gut genug, was Sie getan und geleistet haben, gab es immer ein Haar in der Suppe? Hatten Sie den Eindruck, versagt zu haben, wenn Sie etwas nicht gleich auf die Reihe kriegten? Haben Sie das Gefühl, dass Sie mindestens den Nobelpreis bekommen müssten, damit Ihre Leistung zählen würde – und dass vielleicht nicht einmal der reichen würde, damit Sie gefeiert würden?
TIPP Blättern Sie auf Seite 41: Hier sind verschiedene dysfunktionale Gedanken aufgelistet. Einige davon treiben zu stetigen Höchstleistungen an. Finden Sie solche in Ihrem gedanklichen Repertoire?
Je nachdem, wie Sie als Kind von Ihren Bezugspersonen «eingespurt» wurden, wird Wertschätzung Sie nähren und Sie stolz und zufrieden machen; oder aber Sie bekommen zwar Anerkennung, können sie jedoch innerlich nicht zu Ihren Gunsten «verwerten».
MARTIN S., Primarlehrer an der Volksschule, hat gerade die Elterngespräche hinter sich. Immerhin drei oder vier Väter oder Mütter haben ihm gesagt, wie sehr sie seinen engagierten Unterricht schätzen. Eine Mutter hat dankend vermerkt, dass sie sich stets ernst genommen fühle, wenn sie ein Anliegen habe. Und ein Vater hat hervorgehoben, wie sehr er es geschätzt habe, dass Martin S. zu Geduld riet, als bei seiner Tochter Leseschwierigkeiten vermutet wurden, statt sie gleich zur Abklärung zu schicken.
Nach den Gesprächen denkt Martin S. zurück und überlegt:
▪ Variante 1: Der Grossteil der Eltern hat keine Wertschätzung ausgedrückt – das ist
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