Starke Frau, was nun?
wartet.
Mister Scout trifft fünf Stunden später ein, jedenfalls fühlt es sich so an. Lisa ist davon überzeugt, sich nicht mehr bewegen zu können, weshalb sie ihn ausschließlich anglotzt; selbst die Kiefer sind mittlerweile erstarrt.
Aber Chris wirkt echt frisch. »Sorry«, meint er, als sie so gar nichts sagt. »Ich war noch im Sender und ...«
»... hier gibt es keine Parkplätze, ich weiß.« Oh, ihre Kiefer sind doch noch nicht hinüber. Glück gehabt!
»Du hättest mit mir fahren können!«
»Ich steige nicht in dein verdammtes Auto; wie oft denn noch?«, erwidert sie giftig.
»Yeah, das hatte ich doch glatt vergessen. Let´s go!«
Der Kerl macht ernst, denn sie steigen tatsächlich eine der zahlreichen Treppen hinab und befinden sich kurz darauf am Spree-Ufer. Es fühlt sich an, als herrschen hier unten noch einmal fünf Grad weniger. Mindestens. Womit sie jetzt bei circa Minus 50 Grad angelangt sein dürften – auf dem trüben Wasser schwimmen nämlich verdächtig große Eisbrocken.
»Friert sie zu?«, erkundigt er sich.
»Nein. Soweit ich weiß nicht.« Kaum hat sie das gesagt, stöhnt Lisa resigniert auf, weil die erste Schneeflocke ihre Nase getroffen hat. Es ist Ende Januar; sie hat eigentlich bereits auf den Frühling spekuliert und nun das!
Wenig später wandeln sie im dichten Schneetreiben, was den Idioten natürlich nicht von seiner Exkursion abbringt. »Du hättest dich wärmer anziehen sollen!« Als Lisa schnaubt, mustert er sie von der Seite. »Würdest du dich endlich normal benehmen?« Das kommt in einem waschechten Knurren, wofür sie nur einen gehässigen Blick erübrigt. Seit wann lässt sie sich von einem geistigen Tiefflieger namens Mann sagen, was sie zu tun und zu lassen hat?
Die Stimmung ist so eisig wie die Luft, die sie umgibt. Der Wind pfeift ihr um die Ohren, als befänden sie sich an der Küste; eilig vergräbt sie das Gesicht tiefer in ihrem Schal und senkt den Kopf gegen den Sturm. Zu allem Überfluss kreisen über ihnen die verdammten Möwen, die herumkreischen, als stünde demnächst die Fütterung an.
»Gibt es hier swans?«
»Siehst du welche?«
»Im Sommer, meine ich.«
»Keine Ahnung – möglich«, meint sie schulterzuckend.
»Ducks?«
»Ja, Enten gibt es auch«, erwidert sie mit wachsendem Ärger. »Als Kind habe ich sie manchmal gefüttert.«
Schon bereut sie ihre ausschweifende Antwort, denn er strahlt. »Du hast Enten gefüttert?«
»Jedes Kind tut das!«, faucht sie.
Chris hebt eine Augenbraue, besitzt jedoch wenigstens so viel Anstand zu schweigen.
»Wird der Schiffsverkehr im Winter eingestellt?«, erkundigt er sich nach einer Weile.
»Keine Ahnung!«
Er nickt und geht zu der Anlegestelle, die sie gerade passieren. Dort hängt auf jeden Fall ein Fahrplan und sie betet eilig im Stillen. Bitte, bitte nicht auch noch eine Schiffsfahrt.
»Nope«, meint er etwas später. »Aber sie wird dem Wetter angepasst.« Zweifelnd hält er das Gesicht in das dichte Schneetreiben. »Ist das Schiffswetter?«
Bevor sie ihm erklären kann, dass sie die letzte Reisernte in China ungefähr gleich stark tangiert wie die Frage, ob die verdammten Dampfer derzeit fahren oder nicht, kommt eine Oma mit Dackel des Weges gewackelt.
»Hier fährt nüscht!«, meint sie, ohne dass jemand gefragt hat. »Nicht im Januar. Zu wenig Kundschaft.«
Der Ami deutet eine Verbeugung an. »Aufrichtigen Dank, Madam.«
Die alte Frau betrachtet ihn, als wäre er nicht ganz bei sich und eilt davon. Lisa kann sich ein Kichern nicht verkneifen.
»Was ist jetzt?«
»Doch nicht everybodys Darling, oder?«
Anstatt zu antworten, verzieht er nur arrogant das Gesicht.
In noch düsterer Stimmung gehen sie weiter, ohne Aussicht darauf, dass ihr Gespräch noch einmal auflebt. Bis ganz plötzlich etwas Großes, Schwarzes, Braunes mit verdächtig langem Schwanz gemächlich den Weg überquert, und in Lisa jene Kettenreaktion einsetzt, der jede Frau in einer solchen Situation zum Opfer fällt. Ob Emanze oder nicht.
Ratte!
»AHHHHHHHH!«
Mann?
Vorhanden!
Im nächsten Moment würgen ihre Arme seinen Hals und ihre Beine umklammern seine.
Während sie mit irrem Blick dem flohverseuchten Nager nachsieht, der übrigens noch immer keine Eile zu haben scheint, räuspert sich der elende Ami, hält sie aber glücklicherweise fest. »Selbst eine starke Frau ist offensichtlich manchmal schwach. Und was will sie dann? Einen Mann. Tsss.«
Stöhnend befreit sie sich aus seinen Armen. »Da war eine
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