Starke Frauen
Manchmal weint sie beim Schreiben, denn »es muss von Herzen kommen, was zu Herzen gehen soll«. Unermüdlich wiederholt sie: »Ich schreibe Märchen.« Und wie in allen Märchen gibt es auch in Hedwigs Geschichten zwei archaische Kraftströme, die Vorurteile abbauen, Wege in eine bessere soziale Zukunft ebnen, Mut stiften und »denen da oben« bescheinigen, dass sie keineswegs besser sind. Falls solche Märchen Kitsch sind, dann hat sie tatsächlich Kitsch produziert.
Sie selbst trat der Sache mit gesundem Selbstbewusstsein entgegen: »Ich bin überzeugt, dass mir gerade die Schriftsteller viel zu verdanken haben: Ich lehre das Volk lesen.« Und im Übrigen: »Auch Kitsch kommt ja von Können.«
Der Vater, königlich-preußischer Polizist und Monokel-Träger, ist streng und humorlos, Mutter Wilhelmine, geborene Felsing, lebt in der Überzeugung, dass ihre Schürze genauso perfekt sitzen muss wie seine Uniform. Sie hält die Wohnung mit religiöser Hingabe sauber und bringt den Töchtern bei, wie man Aprikosenmarmelade, Buttermilchsuppe und Apfelstrudel macht. Marlene und ihre ältere Schwester Elisabeth verinnerlichen: Die Daseinsberechtigung der Frau besteht darin, den Herrn im Haus zufriedenzustellen.
»Sie selbst glich einem guten General«, schreibt Marlene in ihrer Biografie Nehmt nur mein Leben , »meine ganze Erziehung zielte darauf ab, Gefühle zu verbergen«. Als sie in der Tanzstunde ein langes Gesicht macht, weil ihr der Partner nicht gefällt, »gab mir meine Mutter eine schallende Ohrfeige und sagte: ›Wer seine Gefühle zeigt, hat schlechte Manieren.‹«
Großmutter Felsing hingegen weckte »in mir die Liebe zu schönen Dingen: Gemälde und Fabergé-Pillenschachteln, Pferde, Wagen und Perlen. Sie war tonangebend in der Mode, ohne es zu wollen oder sich darum zu kümmern, was die übrige Welt trug.« In ihrem Geschäft für Damenmode Unter den Linden erklärt die Großmutter der Enkelin, welcher Schmuck zu welchem Kleid passt, welches Parfüm zum Teint.
Das Mädchen wächst also zwischen diesen beiden Frauen auf, zwischen Selbstverleugnung und kunstvoll gepflegter Weiblichkeit. Als der Vater 1908 unerwartet stirbt, ist es aus mit den Sonntagsessen im »Kempinski«, die Witwe muss eine Stelle als Haushälterin annehmen.
Mit 18 zieht Marlene ihre Taufnamen Maria und Magdalena zusammen zu »Marlene« – als möchte sie beweisen, dass sie es schafft, wie Mutter und Großmutter zu sein. »La Dietrich« wird tatsächlich beides: unnahbare Diva und deutsche Hausfrau, beides in Perfektion. Hat sie Lust auf einen Mann oder eine Frau, zögert sie nicht, da Sex für sie eine Art Nahrung ist (kein Tauschmittel). Zugleich bekocht sie die Geliebten, macht ihre Wäsche, putzt ihre Wohnung. Charmante Ungezwungenheit, exzentrische Garderobe, sorgloser Umgang mit Sex einerseits, aufrechter Moralismus, züchtige Schürze, hingebungsvolle Fürsorge andererseits – manchmal erinnert Marlene an die biblische Maria Magdalena. Wobei gilt: »Das Bemuttern ist wichtiger als Sex.«In den raren Tagen, in denen sie Single ist, tröstet sie sich wie ein Kind. Sie futtert: »Vielleicht brauche ich Leberwurstbrote, den Trost der Betrübten – und seelische Leberwurstbrote.«
Eine Galerie ihrer Liebhaber (keineswegs komplett):
ROBERT REITZ: Ab 1919 ihr Musikprofessor in Weimar, der sie auf die angedachte Laufbahn als Konzertgeigerin vorbereitet.
GERDA HUBER: Ambitionierte Journalistin. Sie leben seit 1921 zusammen in Berlin, während Marlene mit lausigen Varieté-Orchestern auftritt – im Hutladen, in einer Handschuhfabrik – und als tingeltangelndes »Thielscher-Girl« jobbt. Gerda wird später ihre Haushälterin und 1933 ihre erste Biografin.
RUDOLF SIEBER: Regieassistent in ihrem zweiten Stummfilm; seit dem 17. Mai 1923 der Ehemann, mit dem sie 53 Jahre verheiratet bleibt. Am 13. Dezember 1924 bekommt Marlene ihr einziges Kind: Maria. »Rudi« findet sich mit dem Lebensstil seiner Frau ab, verwaltet ihre Finanzen, endet als Hühnerfarmer.
TILLY LOSCH: Mit der Tänzerin zeigt sie sich seit 1925 in Berliner Lesben-Cafés, aufgemacht mit ihren bald schon legendären Seidenhosen, Jackett, Monokel und Hut.
JOSEF VON STERNBERG: Der in Wien geborene Regisseur entdeckt sie 1929 in der Musikrevue Zwei Krawatten , gibt ihr die Hauptrolle im Blauen Engel und formt sie zu Vamp und Weltstar. Marlene erinnert sich: »Ich wusste nicht, was ich tat. Ich versuchte nur zu tun, was er mir sagte.« Seinetwegen geht sie 1930 nach
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