Starke Frauen
Bettgenossen werden immer jünger, die Rollenangebote rarer. Also geht Marlene einmal mehr in die Offensive. Sie startet eine zweite Karriere: als Showstar. Nimmt Platten auf, plaudert in Radio-Shows. Ihre Auftritte in Las Vegas machen sie zur bestbezahlten Unterhaltungskünstlerin Amerikas. Auch wenn es weniger ihre Gesangsdarbietungen sind, die das Publikum mitreißen: »Ich kann nicht singen. Also muss das, was ich trage, eine Sensation sein.« Das berühmte Paillettenkleid, in dem sie wie nackt aussieht, geht in den Fundus der Popkultur ein. Marlene bleibteben realistisch: »Meine Kleider sorgen für mehr Gesprächsstoff als alles andere, außer vielleicht meiner Figur.« Aber sie beginnt, künstlich, wie tiefgefroren, zu wirken. Kein Wunder: Angesagt ist Marilyn Monroe. Und Marlene verkörpert einen überholten Frauentyp.
Marlenes letzter Liebhaber ist 27 Jahre jünger: der Komponist Burt Bacharach. »Er war der wichtigste Mann in meinem Leben, nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, mich ganz der Bühne zu verschreiben. Mein oberstes Ziel bis zu dem Tag, an dem er mich verließ, war, ihm zu gefallen.« Er begleitet sie während ihrer Tourneen am Klavier, sie wäscht auf Reisen seine Hemden und Socken.
Er ist dabei, als sie in Israel, wo Deutsch in der Öffentlichkeit unerwünscht ist, das Publikum um die Erlaubnis bittet, in ihrer Muttersprache zu singen. Sie darf – als erster Künstler überhaupt. Als Bacharach sie 1965 verlässt, hält sie ihn für einen Deserteur: »Unsere Trennung hat mir das Herz gebrochen.«
Aber Marlene geht weiterhin auf Tour, bemuttert ihre letzte Freundin Marti Stevens (die Tochter des Metro-Goldwyn-Mayer-Chefs), gibt noch 74-jährig Konzerte. Bei einem der letzten Auftritte stürzt sie auf der Bühne und bricht sich ein Bein. Sie kränkelt jetzt, leidet an der Leere, die sie umgibt. Freunde, Kollegen, der ewige Ehemann – alle sterben weg.
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»Hätten die Deutschen Charakter, würden sie mich hassen«
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»Hätten die Deutschen Charakter, würden sie mich hassen«, erklärt die konsequente Gegnerin des Nazi-Regimes 1952. Nun, 1960, als sie in ihrer zerrissenen Heimat konzertiert, zeigen die Deutschen »Charakter«: »Bleib, wo du bist, Marlene«, brüllt die Presse, da doch »dieses unverschämte Frauenzimmer Tausende von deutschen Soldatengräbern auf dem Gewissen hat«. Marlene, das »Gewissen auf zwei langen Beinen«, wird bespuckt. Mit Eiern beworfen. Aber sie sagt das Konzert in Berlin nicht ab. Beginnt mit ihrem Song »Ich bin von Kopf bis Fuß ...«. Willy Brandt, Berlins damaliger Bürgermeister, reißt mit seinem begeisterten Applaus die Zuschauer im halb leeren Saal mit. Marlene kam, sang und siegte.
Mit 75 Jahren trifft Marlene die kühnste Entscheidung ihres Lebens:Sie entzieht sich der Welt, siedelt nach Paris um und lebt in ihrer Wohnung in der eleganten Avenue Montaigne 12, die sie, abgesehen von Arztterminen, nicht mehr verlässt. Riesiges Bett, Telefon, Unmengen von Scotch, keine Besucher. Nicht einmal ihr Astrologe Carroll Righter, der Mann, mit dem sie seit über einem halben Jahrhundert alles, jeden Termin, jede Reise, jede Entscheidung, jeden Partnerwechsel bespricht, darf zu ihr. (Übrigens: Sie war nicht religiös: »Ich denke nie über etwas nach, das es nicht wert ist, dass man darüber nachdenkt.«)
Einzige Ausnahme: 1984 kann Maximilian Schell einen Dokumentarfilm in ihrer Wohnung drehen. Zeigen darf er sie nicht. Aber man hört sie sagen: »Ich bin kein Träumer, ich bin ein praktischer Mensch, logischer Mensch. Ich hab gearbeitet mein ganzes Leben.« Nach 16 Jahren ihrer »splendid isolation« stirbt die Dietrich. Ihr letzter Wunsch war, in Berlin neben ihrer Mutter beerdigt zu werden.
Aber die Heimatstadt tut sich schwer mit ihrer großen Tochter. Die alten Vorwürfe, mit denen Marlene 1960 als »Vaterlandsverräterin« in Deutschland begrüßt worden war, leben wieder auf. Auch 1996, als man nach ihr eine Straße benennen will. Der Antrag wird 1997 abgelehnt, und nur der glückliche Zufall, dass auf dem neu geplanten Potsdamer Platz historisch unbelastete Straßenzüge entstehen, verhilft der Hauptstadt doch noch zu einem Marlene-Dietrich-Platz. Noch 2001 – Marlene wäre 100 geworden – wird ihr Grab in Friedenau beschmiert und eine geplante Gedenkveranstaltung abgesagt. Ein Jahr später, am 16. Mai 2002, wird sie posthum zur Ehrenbürgerin von Berlin. Ein Traum ging in Erfüllung. Ihren heimlichen Wunsch konnte der Diva im
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