Starke Frauen
Hosenanzug allerdings keiner erfüllen: »Nun ja, ich wäre sehr gern ein Mann gewesen, ein großer Mann.«
Der Weg ist lang, die Wege sind holprig, die Planwagenkolonne braucht fast einen Monat, um die knapp 1000 Kilometer von Ungarn nach Thüringen zu schaffen. Neben »unzähligen goldenen und silbernen Trinkgefäßen, achtbaren Kränzen und Kronen, viel verzierten Fingerringen und Spangen mit edlen Steinen; viel bunten Bändern und reichem Gewand aus Pelz, golddurchwirkten Tüchern und Baldachinen, Bettzeug von purpurner Seide ... tausend Mark in feinem Silber (und) einem Badekübel aus Silber« (so ein Zeitzeuge) gehört auch »das edle Mägdelein«, Königstochter Elisabeth, zur Fracht. Ihr Vater Andreas II. handelte mit dem thüringischen Landfürsten Hermann I. einen Deal aus, der ihr Bündnis festigen und ihren Machteinfluss vergrößern sollte. Also hat sich die künftige First Lady möglichst bald mit den Landessitten vertraut zu machen. Kaum angekommen, legt man die vierjährige Braut mit ihrem Verlobten Hermann (dem Sohn des Fürsten) in ein Bett – womit ihre Ehe symbolisch vollzogen wird. Elisabeth wird weder ihre Eltern noch ihre Heimat je wiedersehen. Und solange das Kind kein Deutsch spricht, war Gott (so ihre Dienerin Guda später) ihr einziger Ansprechpartner.
Die Kleine ist tief beeindruckt. Die Wartburg, Sitz des Geschlechts der Ludowinger, ist eine Drehscheibe künstlerischer Begegnungen. Ihr Schwiegervater lädt die kühnsten Minnesänger des Landes ein; unter Hermanns Schirmherrschaft soll hier 1206 der legendäre Sängerkrieg stattgefunden haben, an dem Stars wie Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach teilnahmen.
Die Prinzessin ist ein willensstarkes und einfallsreiches Kind, mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn und einer asketisch angehauchten Frömmigkeit: »Sie versagte sich täglich etwas, um ihren Willen Gott zuliebe zu überwinden. Hatte sie beim Spiel beste Aussicht zu gewinnen, so sagte sie: ›Jetzt, beim Gewinnen, möchte ich aus Liebe zu Gott aufhören‹«, gibt ihre Dienerin Guda später zu Protokoll. Sie tanzte für ihr Leben gern, aber nach der ersten Runde hieß es: »Einmal soll mir genügen.«
Als sie fünf ist und »noch keine Buchstaben kannte«, wirft sie sich vor dem Alter nieder und schlägt den Psalter auf, als ob siebete. Beim Betreten der Kirche nimmt sie die Krone vom Kopf und setzt sie erst nach Beendigung des Gottesdienstes wieder auf. Ihre Pflegemutter, Hermanns Gattin Sophie, tadelt: »Was meint Ihr nun damit, neue Sitten einführen, damit uns die Leute auslachen? Elisabeth, Ihr solltet nicht unter die herrschenden Fürsten, sondern zu den dienenden Mägden gezählt werden.« Elisabeth überfordert ihre Umgebung, indem sie so lebt, wie sie es für richtig hält: wie ein Christ. Als in der Silvesternacht 1216 Elisabeths Verlobter stirbt, hoffen nicht wenige am Hof, dass man die Ausländerin zurück nach Ungarn schickt.
Doch es passiert ein »Wunder«: Hermanns jüngerer Bruder Ludwig verliebt sich in die Eigenbrötlerin. 1221 heiraten die beiden, da ist sie 14. Und das Paar hält nicht viel von Konventionen: Sie schmusen öffentlich und speisen gemeinsam. Sie begleitet ihn, auf einem Pferd sitzend, auf seinen Reisen. Er bleibt ihr zeitlebens treu und duldet, dass sie sich mit Eifer um die Armen kümmert. Elisabeth gründet unter der Burg ein »Siechenhaus« mit 29 Betten, in dem Kranke versorgt werden. Im Hungerjahr 1225 öffnet sie die Vorratskammern der Burg und verteilt Getreide. »Wenn sie mir nur die Wartburg nicht verschenkt, bin ich’s wohl zufrieden«, soll Ludwig gesagt haben.
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»Wie das Schilf im Fluss müssen wir uns beugen, um uns danach wieder lieblich und schön aufzurichten«
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Keuschheit, Respekt vor Schwächeren, Demut und Verzicht auf materiellen Wohlstand sind die christlichen Maximen, denen auch ein junger Mann in Italien sein Leben unterordnet: Franziskus von Assisi, der prominenteste Vertreter der breiten religiösen Armutsbewegung, die sich in Europa verbreitet – als Reaktion auf die Verweltlichung der Kirche: Päpste ernennen ihre Bastarde zu Kardinälen, Mönche vergewaltigen Nonnen, der Klerus verprasst die Kirchensteuer.
Ab 1219 treffen die ersten Franziskaner in Deutschland ein, und der Laienbruder Rodeger macht Elisabeth mit der Lehre des »Poverello« aus Assisi vertraut. Sie vollzieht den christlichen Radikalismusvon Franziskus auf ihre Weise und möchte den ganzen irdischen »Ballast« loswerden.
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