Starke Frauen
Nachthemd oder sonst irgendetwas mitzuhaben, fast mit Gewalt, war ich die Beute dieses Mannes geworden. Ich muss sagen, es gefiel mir sehr wohl.« Alma – eine Beute? Niemals. Kokoschka lässt sich im Sommer 1918 eine lebensgroße Puppe nähen, die Alma erotisch ersetzen soll. Er malt sie, kauft ihr Schmuck und Kleider, geht mit ihr aus. In seiner Autobiografie schreibt er: »Die Puppe hatte mir die Leidenschaft gänzlich ausgetrieben ...« Die echte Alma und er blieben bis zu ihrem Tod Freunde.
Mitten im Krieg, am 18. August 1915, erhält Leutnant Gropius Sonderurlaub,um die Witwe Mahler in Berlin zu ehelichen. Am 5. Oktober 1916 bringt Alma in ihrer Wohnung in der Mommsenstraße Tochter Manon zur Welt. Er schenkt ihr Edvard Munchs Gemälde »Mitternachtssonne«. Sie kommentiert trocken: »Man kann keine Ehe auf Distanz führen.« Und langweilt sich.
Doch die Erlösung naht: der 11 Jahre jüngere Dichter Franz Werfel. Sohn eines reichen Prager Handschuhfabrikanten, ein »fetter, o-beiniger Jude mit wulstigen Lippen« (Tagebuch-Zitat). Aber das wird Alma, die latente Antisemitin, erst später stören, nachdem sie mit ihrem »Götterliebling« ins Exil muss.
Alma besucht Werfel täglich in seinem Hotel. Sie lieben sich, dann sperrt sie ihn ein, damit das Jung-Genie ungestört arbeiten kann. Ist Werfels Tagespensum fertig, geht es wieder ins Bett. Werfel notiert: »Ich hatte mich nicht beherrscht. Wir liebten uns! Ich schonte sie nicht.« Alma ist zu diesem Zeitpunkt im 7. Monat schwanger.
Mit 39 bringt sie Sohn Martin zur Welt, eine Frühgeburt. Alma ist nicht sicher, wer der Vater ist. Gropius hört, wie seine Frau und Werfel über den Namen des Kindes beraten. Und fragt lediglich: »Nicht wahr, er ist dein Liebhaber?« Scheidung. Im selben Jahr (1920) stirbt das Baby.
Und schon wieder bettelt ein Mann sie an: »Almitschka, lebe für mich! Ich sehe meine Zukunft nur in dir. Ich möchte dich heiraten. Und nicht nur aus Liebe. Sondern aus der tiefen Erkenntnis, dass, wenn es einen Menschen auf Erden gibt, der mir die Erfüllung bringen und mich zum Künstler machen kann, du allein dieser Mensch bist.« So perfekt wie Franz Werfel hat keiner das Geheimnis ihrer magischen Unwiderstehlichkeit in Worte gefasst. Alma ist sicher: »Franz ist ein winziger Vogel in meiner Hand.«
Am Vorabend ihrer dritten Hochzeit (1929) gesteht sich Alma: »Ich muss schritthalten, muss Jugend heucheln. Muss mein ganzes Lebensinteresse auf sein Werden wenden – darf nicht, wie ich möchte, objektiv über den Dingen stehen.« Ihre Verführungskraft hat dennoch nichts an Wirkung eingebüßt. Auf einer Party verkündet der Dramatiker Gerhart Hauptmann: »Im nächsten Leben müssen wir beide ein Paar werden. Ich möchte jetzt schon meine Reservierung anmelden.« Seine Frau spottet: »Ich bin sicher, Alma ist auch da schon ausgebucht.«
1930, kaum ein Jahr nach der Hochzeit, gesteht sich Alma: »Ich liebe ihn nicht mehr ...« Für eine Scheidung jedoch fühlt sie sich zu alt. Also sucht die Frau, die ihren Antisemitismus nur selten beherrschen kann, Trost beim Kräuterlikör – und in der Religion. Johannes Hollnsteiner ist ein politisch ambitionierter Priester. Alma ist 54, als sie beim Beichten im Stephansdom ihr Gewissen erleichtert. Fast täglich: »Er ist der erste Mann, der mich je erobert hat.« Alma – erobert? Niemals.
Auch Hollnsteiner, 16 Jahre jünger, beichtet ihr: »Ich war noch nicht einmal in der Nähe einer Frau. Sie sind die erste, und Sie werden die letzte sein.« Ehemann Werfel kommentiert: »Das ist Almas letzte Verrücktheit.« Alma mietet eine kleine Wohnung, verwöhnt dort den Verführten. »Gewisse Verwirrung in mir ... Hollnsteiner ist entweder ein Engel oder ein Schurke. Aus Gründen der Selbstachtung habe ich beschlossen, ihn als Engel zu betrachten.« Als 1935 Almas 18-jährige Tochter Manon Gropius stirbt, hält Hochwürden Hollnsteiner die Leichenrede. Nach Kriegsausbruch emigriert Alma mit dem schwer kranken Werfel nach Amerika, drei Monate nach Hitlers Niederlage, im August 1945 stirbt er, nicht mal 55 Jahre alt.
Alma hört schlecht, trinkt (am liebsten mit Erich Maria Remarque), lebt in New York. Allein. Aber sie empfindet das Alleinsein auch als Befreiung. Als Mahler-Erbin wird sie hofiert, Nachwuchstalente buhlen um ihr Interesse, da ihr Gespür für Genialität zum Markenzeichen wurde. Und Anna Mahler – das einzige ihrer Kinder, das Alma nicht sterben sah – hilft ihrer Mutter, die Erinnerungen
Weitere Kostenlose Bücher