Starke Frauen
...« Sie gibt seinem Werben nach. Verliebt war sie kaum und behauptet es auch niemals. »Geheiratet habe ich nur, weil ich Kinder wollte.« Sie wird in den nächsten 14 Jahren sechs Kinder bekommen und zwei Fehlgeburten verkraften.
Knapp ein Jahr nach der Hochzeitsreise kommt Erika zur Welt: »Es war also ein Mädchen, Erika. Ich war sehr verärgert. Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam, warum, weiß ich nicht«, gesteht die junge Mutter ein halbes Jahrhundert später in Meine ungeschriebenen Memoiren .
Die Reaktion des Vaters: »eine Enttäuschung«. – »Verdammteralter Anti-Feminist«, schimpft Großmutter Dohm. Tommy sinniert: »Vielleicht bringt mich die Tochter innerlich in ein näheres Verhältnis zum ›anderen‹ Geschlecht, von dem ich eigentlich, obgleich nun Ehemann, noch immer nichts weiß«, und tritt eine Kur an, um sich zu erholen. Seine Schwiegermutter stellt fest: »Ihr Mann ist ein rechter Pimperling, der nicht viel verträgt.« Als Vater wird Thomas Mann immer ein Sonderling bleiben: Er isst während der Inflation vor den Augen seiner hungrigen Kinder das einzige Stück Fleisch auf dem Tisch.
1906 kommt es zwischen Thomas und Katias Vater zu einem handfesten Krach. Der Grund: seine Novelle Wälsungenblut , in der er eine inzestuöse Beziehung zwischen Geschwistern schildert. Die Pringsheims fürchten, »die Menschen« könnten in den Protagonisten Katia und ihren Zwillingsbruder Klaus sehen. Die Inzest-Novelle erscheint erst 15 Jahre später, als sich Katia längst »arrangierte«.
Als 1912 Manns Novelle Der Tod in Venedig erscheint, wird sein Geheimnis gelüftet: Der Held der Story, Professor Aschenbach (alias Tommy), verliebt sich unsterblich in den »vollkommen schönen« Knaben Tadzio ... Ausgerechnet jetzt bricht Katias Tuberkulose aus, sie wird über Monate in einem Schweizer Sanatorium behandelt.
Nun kann sich keiner von beiden vor ihrem Problem drücken: »Von eigentlicher Impotenz wird kaum die Rede sein können, sondern mehr von der gewohnten Verwirrung und Unzuverlässigkeit meines ›Geschlechtslebens‹.« Wie wäre es, falls ein Junge »vorläge«?, fragt er sich im Tagebuch. Sie schreibt ihm: »Ich habe hier so viel Zeit zum Nachdenken, und da denke ich doch manchmal, dass ich mein Leben nicht ganz richtig eingestellt habe, und dass es nicht gut war, es so ausschließlich auf dich und die Kinder zu stellen.«
Ändern wird sich nichts, aber es kommt immerhin zu einer Aussprache: »Dankbarkeit gegen K., weil es sie in ihrer Liebe nicht im Geringsten beirrt oder verstimmt, wenn sie mir schließlich keine Lust einflößt und wenn das Liegen bei ihr mich nicht in den Stand setzt, ihr Lust, das heißt die letzte Geschlechtslust, zu bereiten.« Wie unendlich traurig! Tommy war der einzige Mann, mit dem Katia je geschlafen hat. Gut möglich, dass ihr Körper nie begehrt wurde, nie einen Orgasmus erlebte.
Als 1914 der Krieg ausgebrochen ist, wird Mann Untauglichkeit (wegen seiner Homosexualität?) bescheinigt, er muss nicht an die Front. Eines Tages, 1919, beobachtet er seine Söhne: »Klaus, völlig nackt vor Golos Bett, Unsinn machend. Starker Eindruck von seinem vormännlichen, glänzenden Körper. Erschütterung.«
1920 schenkt er Katia zum Geburtstag ein Damenfahrrad, das sie gegen ein Herrenrad umtauscht und tüchtig radelt.
1925 erklärt er sie endgültig zum »Schwesterherz«, das dafür sorgt, dass die erwachsenen Kinder die Neigung ihres Vaters wohlwollendbelustigt ansprechen können. Und sie empfindet sich als »Zubehör« (Zitat) ihres »Zauberers« (wie ihn ihre Kinder seit einem Kostümfest 1921 nennen), obwohl sie als Übersetzerin aus Latein und Englisch (ihre Übersetzung von Thackerays Jahrmarkt der Eitelkeiten erschien 1950) zu den Besten ihres Fachs gehört.
1929 nennt er in seiner Dankesrede für den Nobelpreis den heiligen Sebastian, den »Schutzheiligen« der Homosexuellen, seinen Lieblingsheiligen und verteidigt Homosexualität am Beispiel von Michelangelo und Friedrich dem Großen: »Ich sehe nichts Unnatürliches und viel lehrreiche Bedeutung, viel humane Größe in dem Zartgefühl reifer Männlichkeit für lieblichere und feinere Männlichkeit.« Die schwedischen Zeitungen erwähnen »das Maskuline in der Erscheinung« von Frau Mann, die festes Schuhwerk und Männerhüter trägt.
Bleibt wohl die Frage: Wie viel hat Katia als unabdingbar akzeptiert? Hat Thomas Mann seine Homosexualität je ausgelebt oder nur sublimiert? Seine
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