Starke Frauen
Tagebücher, denen er beichtete, was er zwischen dem 2. Dezember 1921 bis 14. März 1933 erlebte, hat er eigenhändig vernichtet.
Katia leidet zwar, wenn der Dichter sie »begriffsstutzig und ungebildet nennt, (was) hart und ungerecht ist«, aber zugleich genießt sie den Ruhm, die Auslandsreisen zu seinen Vorträgen, die Hotel-Suiten, das Dinner im Weißen Haus und mit dem schwedischen König. »Frau Thomas Mann« (so stellt sie sich vor) führt ein Dasein wie die meisten Genie-Ehefrauen. Bis auf einen wesentlichen Unterschied: Katias Mann erfüllte zwar irgendwie seine eheliche Pflichten, aber lieben konnte er nur Männer.
Nach außen hin ist ihre Welt in Ordnung. Thomas Mann ist der leuchtende Star der deutschen Literatur, Katia schützt seinen Ruf und Ruhm – und somit auch ihre eigene Ehre und ihren Lebenssinn. 1933 befindet sich das Ehepaar Mann auf einer Auslandsreise, von der es nicht mehr nach Deutschland heimkehrt. Fast fünf Jahre verbringt die Familie Mann am Zürichsee. Am 14. September 1939 werden die Requisiten ihres bisherigen Lebens an Bord des Überseedampfers geladen: »Bei Tische stellten wir die 33 Jahre unseres Verheiratetseins fest. Das Erschrecken, der Schwindel dabei: Das Leben – ich sagte, ich möchte es nicht wiederholen, das Peinliche habe zu sehr überwogen. Fürchte, K. wehgetan zu haben.« Thomas Mann hat sich als Paterfamilias in den bürgerlichen Lebensformen eingerichtet, aber als Autor empfindet er es entsetzlich banal. Das alte Dilemma.
Und Katia? Katia macht ihren Ehefrau-Job und sie macht ihn gut. Sowohl in Princeton, wo Mann eine zweijährige Gastprofessur hat, als auch in Kalifornien, wo sich die Manns ein Haus in Pacific Palisades bauen lassen und bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland leben (1952). Aber als Mutter kommt sie nicht über das Gefühl hinweg, versagt zu haben. Thomas macht sich schon lange nichts vor: »Jemand wie ich sollte keine Kinder in die Welt setzen.«
Die Kinder des hohen Paares der deutschen Literatur sind privilegiert aufgewachsen und hoch begabt. Aber sie sind auch beschädigt durch ihren kalten, geistig dauerabwesenden Vater und ihre frustrierte, herrische Mutter. Michael und Klaus enden im Suizid. Elisabeth heiratet einen um 36 Jahre älteren Mann. Monika flüchtet sich in eine unstandesgemäße Beziehung mit einem Fischer auf Capri. Golo leidet unter Depressionen und Phobien und, ähnlich wie der Vater, unter seiner unterdrückten Homosexualität.
Bleibt Erika, Schauspielerin und Schriftstellerin. Katia hat in ihrer Erstgeborenen nie nur ein Kind gesehen, sie war stets auch Vertraute und Stellvertreterin. Sie protestiert nicht, als Erika im gleichen Alter wie sie selbst einen Mann wie sie selbst heiratet, den bisexuellen Gustaf Gründgens. Und sie nimmt es hin, dass diese Tochter privat wie beruflich scheitert: »Ich glaube, im Grunde ist sie tief unbefriedigt von ihrer Existenz, die ja reich und angeregt, aber menschlicheben doch nicht das Richtige ist.« Kann sie nicht akzeptieren, dass die Tochter lesbisch ist?
Der Vater bietet Erika eine Stelle als Sekretärin, Biografin, Nachlasshüterin an. Sie soll den Job ihrer Mutter übernehmen. Prinzessin Katia scheint überflüssig zu sein. Aus der Freundin wird eine Rivalin, mit der der 75-jährige Familienpatron, in einen Kellner verguckt, »über mein Faible scherzt«. Mutter und Tochter sitzen stundenlang an Manns Sterbebett. Beim Begräbnis verbergen beide ihr Gesicht hinter einem Witwenschleier.
Unfähig, sich zu ernähren, widmet Erika ihr restliches Leben einer geradezu hysterischen Verklärung des Vaters. 1969 stirbt sie an einem Gehirntumor. »Frau Thomas Mann« legt sich (Tommy hätte der Anblick gestört) einen Swimmingpool im Garten an, dreht begeistert ihre Runden, bewirtet und unterstützt Gäste und Verwandte, aber »trotz Kindern und Enkeln hat mein Leben nun eben doch seinen Sinn verloren«. Sie überlebt den »Zauberer« um 25 Jahre.
»Wer so lange lebt, muss viele überleben«, sagt Katia Mann an ihrem 90. Geburtstag. Diese Frau, die nur zu gerne Männerhüte trug, die, extrem schusselig, ständig alles, egal ob Schlüssel, Portemonnaie oder Theaterkarten, verlegte und, falls gestresst, Katzenzungen naschte, findet Halt in der Gewissheit um ihre Einmaligkeit im Leben von Thomas Mann: als Vermittlerin »zwischen seinem Werk und dem täglichen Leben« (Marcel Reich-Ranicki), aber auch als Inspiration und Ideenlieferantin. Als der Gatte sie einst im Tbc-Sanatorium bei Davos
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