Starke Frauen
heiratet den um 19 Jahre älteren Mann. Aber liebt sie ihn auch, den stolzen, starrsinnigen, sehr reichen Patrizier? Wohl kaum, aber die Ehe war der einzige Ausweg, dem Schicksal einer von allen verachteten, als Last geduldeten »alten Jungfer« zu entgehen. Realitätsfremd war sie nie, vielmehr hochintelligent.
Und er? Herr Schopenhauer glaubt nicht an Liebe, also ist ihm egal, ob sie ihn liebt oder nicht, sie »gehört« ihm, ist sein Besitz. Hauptsache, sie bleibt ihm treu und sorgt für Stammhalter. Sie merkt es und leidet darunter, ebenso wie unter seiner Eifersucht. Aber sie passt sich an. Der Lohn dafür: ein Leben im Luxus. Stadtvilla mit Originalen großer Künstler (z. B. Veronese), einer großen Bibliothek und zwei spanischen Schoßhündchen. Unmengen von Personal.
Als Danzig 1793 von Preußen annektiert wird, beschließt Johannas Herr und Meister, in die Freie und Hansestadt Hamburg umzuziehen, da er – ein glühender Republikaner, deklarierter Gegner Preußens und der Monarchie – kein »Fürstendiener« sein möchte. Die Schopenhauers genießen das liberale Klima der republikanischen Bürgergesellschaft in Hamburg, geben in ihrem Haus Abendgesellschaften für bis zu 100 Gäste. Johanna blüht auf. Arthur, der Sohn, erinnert sich: »Schon als sechsjähriges Kind fanden mich die vom Spaziergang heimkehrenden Älteren eines Abends in der vollsten Verzweiflung, weil ich mich plötzlich von ihnen für immer verlassen wähnte.« Ein Erlebnis, das prägt.
Herr Schopenhauer schickt den Neunjährigen für zwei Jahre nach Le Havre, um ihn auf die Laufbahn eines Kaufmanns mit internationalen Geschäftspartnern vorzubereiten – so ist es der Wille des Vaters. Und allein sein Wille zählt. Arthur muss auf das Gymnasium verzichten, den verhassten Beruf seines Vaters erlernen.
Sein Vater kränkelt unterdessen, wird zunehmend unnachgiebiger, reizbarer, verstörter. Arthur später: »Meine Frau Mutter gab Gesellschaften, während er in Einsamkeit verging, und amüsierte sich, während er bittere Qualen litt. Das ist Weiberliebe«, schreibt er undvertritt die These, »dass der Mensch vom Vater den Willen (Charakter), von der Mutter den Intellekt (die geistigen Anlagen und Talente) erbt«. Am 20. April 1805 stürzt sich Arthurs 57-jähriger Vater aus dem obersten Stockwerk seines Hinterhauses ins Fleet.
Johanna ist als Witwe eine Ehefrau außer Dienst. Ehrbar und unabhängig, da Erbin. Sie nimmt zum zweiten Mal ihr Leben allein in die Hand. Sie verkauft Schopenhauers Firma und das Haus, kauft sich (immerhin eine Frau von knapp 40 Jahren!) einen luxuriösen »Putzkasten« (Kosmetikkoffer), besorgt ein Wunder wirkendes Haarfärbemittel und unternimmt nach Ablauf des Trauerjahres eine Erkundungsreise nach Weimar. Sie hält es für legitim, ihre »zu teuer erkaufte Unabhängigkeit« zu genießen. Arthur bleibt in Hamburg und setzt seine Kaufmannslehre fort.
Als Johanna im Oktober 1806 nach Weimar zieht, steht ihr Plan fest: Sie möchte einen »Salon« führen. Als Bürgerliche! Als am 12. Oktober ein »hübscher ernsthafter Mann im schwarzen Kleide« vor ihrer Haustür steht, ist er ihr nur zu willkommen: Goethe. Er wolle sich der Frau Hofrätin vorstellen. Johanna fühlt sich geehrt. Und lädt in Zukunft nicht nur Goethe, sondern auch seine in Weimar geächtete Frau, Christiane Vulpius, ein: Am 20. Oktober »stellte er mir seine Frau vor, ich empfing sie, als ob ich nicht wüsste, wer sie vorher gewesen wäre. Ich denke, wenn Goethe ihr seinen Namen gibt, können wir ihr wohl eine Tasse Tee geben.« Johanna durchbricht den Boykott. Aus bürgerlicher Solidarität, sicher. Aber es ist nicht nur eine überlegene, vielmehr auch eine einleuchtende Entscheidung, sichert sie sich doch damit einen Promi-Gast im Haus – und im Salon.
Am 12. November 1806 findet Johannas erste Teegesellschaft statt. Ab jetzt steht ihr Haus jeden Freitag und Sonntag zwischen 17 und 19 Uhr offen. Man liest vor, singt Lieder, malt, führt wissenschaftliche Dispute, erzählt sich Witze. Die Gesellschaft ist ein demokratischer Menschen-Mix, eine geistige Oase, die das kriegerische Chaos draußen vergessen lässt. Zugegeben, die meisten kommen, um Goethe zu treffen: »Sie wissen, wie gern ich mir von Ihnen befehlen lasse.« Johanna bedient, weise, wie sie inzwischen ist, seinen Selbstdarstellungsdrang. Für sie ist der Tyrann (und das ist Goethe) vor allem ein Titan, densie instrumentalisiert. Für Johannes Tochter Adele wird und bleibt der
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