Starke Frauen
verfügen, war den Abwehrchefs in Frankreich und England spätestens seit 1915 klar, doch da keiner ihre Identität »knackte«, ging sie als »Fräulein Doktor« in die Geschichte des Erstes Weltkrieges ein.
1929. Der Krieg ist längst verloren, das Kaiserreich der Weimarer Republik gewichen. Da behauptet der Journalist Hans Rudolf Berndorff in seinem Buch Spionage! , die Geheimnisumwitterte identifiziert zu haben. Es hagelt Schlagzeilen.
Nicht zuletzt, weil Berndorffs »Königin der Spionage« alle gängigen Klischees bedient:
Mit 16 gibt sie sich einem Offizier hin, bringt ein totes Kind zur Welt, spioniert, getarnt als Kunststudentin, Putzfrau, Krankenschwester oder Edelnutte; ist immun gegen Liebe und Leidenschaft, aber anfällig für Morphium etc. Aber auch seriös anmutende Sachbücher, zum Beispiel die Sittengeschichte des Ersten Weltkrieges (siehe Kapitel »Die Erotik der Spionage«), behaupten, das Fräulein war »ein Weib mit Nerven wie Stahl, einem messerscharfen Intellekt, gut beherrschter Sinnlichkeit und mit dämonischen Augen«, das seit Kriegsende »als elendes Wrack in einem Schweizer Sanatorium vegetiert«.
Das war dann wohl doch zu viel des Guten für das echte Fräulein Doktor, das daraufhin beschloss, sich zu outen. Denn »solche Berichte vergiften die Mentalität des deutschen Volkes und trüben seine Urteilsfähigkeit. Darum trete ich ein Jahrzehnt nach Beendigung des Krieges aus meinem bisherigen Schweigen hervor und ergreife die Gelegenheit, zu sagen, dass ich ›Mademoiselle Docteur‹ bin«, schreibt sie 1929 in dem Sammelband Was wir vom Weltkrieg nicht wissen . Ihr Name ist Schragmüller. Elsbeth Schragmüller.
Sie sieht sich als »ganz normales Menschenkind«, wächst behütet in einer wohlhabenden Familie in Dortmund auf: »Bodenständig bin ich in Westfalens roter Erde.« Mit neun kommt Elsbeth zu ihrer Großmutternach Münster (warum, verrät die künftige Nachrichtendienstlerin nicht), die mit ihrer Enkelin ausschließlich Französisch parliert und sich von ihr zu ihren Kuraufenthalten im Ausland begleiten lässt. Anschließend »wurde ich der üblichen Laufbahn der ›höheren Töchter‹ entsprechend für zwei Jahre in ein exklusives Pensionat Thüringens (Weimar) geschickt«. Der militärisch angehauchte Drill des Vaters wird durch Benimmzwang ersetzt.
Die junge Dame lernt gern und schnell, »doch das, was der weiblichen Jugend damals an Wissenswertem geboten wurde, erschien mir oberflächlich, und so ertrotzte ich mir, sehr gegen den Willen der Meinen, die Erlaubnis zur Vorbereitung auf das humanistische Abitur ... Wollte ich in drei Jahren das selbst gesteckte Ziel erreichen, so hieß es, die Zähne aufeinanderzubeißen ...« Jetzt schon steht also fest: Elsbeth weiß genau, was sie will. Und was sie will, das »ertrotzt« sie sich mit »zäher Energie«. 1908 legt sie die Reifeprüfung am ersten deutschen Mädchengymnasium ab.
Und sie will studieren. Staatswissenschaften, da sie doch ein »besonderes Interesse an den großen weltgeschichtlichen Zusammenhängen und den Fragen modernstaatlicher Organisation« hat.
»Du heiratest ja doch nicht«, prophezeit mürrisch ihr verärgerter Vater – womit er recht hat.
Denn sein »Fräulein Doktor« gehört zu der ersten Generation der hoch qualifizierten Frauen, die nicht in eine beliebige Karriere stolpern, vielmehr ihre Visionen mit kühlem Kopf und eiserner Disziplin verfolgen. Sie wissen, dass sie ein Leben wie auf dem Präsentierteller führen, also »ihren Mann« stehen müssen. Aber sie empfinden es auch als eine Sache der Ehre, sich ihrem Beruf statt einem Gatten zu schenken. Elsbeth jedenfalls wird Dozentin für Staatsbürgerkunde an einem Berliner Institut für Frauenberufe und engagiert sich bei der Volkswohlfahrt: »Die Psyche der Massen, die ich bisher nur aus Büchern kannte, erlebte ich nun persönlich.«
Am 28. Juni 1914 kommt Erzherzog Franz Ferdinand, Thronfolger von Österreich-Ungarn, in Sarajevo bei einem Attentat ums Leben. Am 28. Juli 1914 erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Seiner Bündnisverpflichtung folgend, erklärt das Deutsche ReichRussland, Frankreich und Großbritannien den Krieg. Der deutsche Nachrichtendienst im besetzten Brüssel arbeitet auf Hochtouren.
Elsbeth will sich nützlich machen »beim Niederzwingen des Feindes«, schleppt schwere Wassereimer wie Tausende Frauen, welche die durchfahrenden Truppen am Bahnhof versorgen. Aber »ich haderte mit meinem Schicksal, das mich
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