Starkes Gift
der Wimsey die Köchin vermutete. Er hätte sie gern ausgefragt, hatte aber das Gefühl, daß Mr. Urquhart ihn nicht sehr freundlich empfangen würde, wenn er erfuhr, daß sein Personal hinter seinem Rücken ausgequetscht worden war. Er begnügte sich daher mit der Frage, wie lange Mr. Urquhart vermutlich fort sein werde.
»Das könnte ich Ihnen nicht guten Gewissens sagen, Sir. Soviel ich weiß, hängt das davon ab, wie es der Kranken geht. Wenn sie’s übersteht, kommt er bestimmt gleich wieder zurück, denn daß er gerade sehr viel Arbeit hat, das weiß ich. Wenn sie aber stirbt, hat er eine Zeitlang zu tun, bis er ihren Nachlaß geregelt hat.«
»Aha«, sagte Wimsey. »Das ist ein bißchen unangenehm, weil ich ihn eigentlich ziemlich dringend sprechen müßte. Sie könnten mir nicht zufällig seine Adresse geben?«
»Also, Sir, ich weiß nicht recht, ob Mr. Urquhart damit einverstanden wäre. Wenn es um etwas Geschäftliches geht, Sir, kann man Sie vielleicht in seinem Büro in der Bedford Row beraten.«
»Vielen Dank«, sagte Wimsey und notierte sich noch die Hausnummer. »Dann fahre ich da mal hin. Vielleicht kann man dort etwas für mich tun, ohne daß ich ihn belästigen muß.«
»Ja, Sir. Und was soll ich ihm sagen, wer hier war?«
Wimsey überreichte ihr seine Karte und schrieb obendrauf: » In re Rex contra Vane « , dann meinte er:
»Aber es besteht Aussicht, daß er recht bald wieder da ist?«
»O ja, Sir. Letztes Mal war er nur ein paar Tage fort, und was für eine gnädige Fügung das war, wo der arme Mr. Boyes so schrecklich sterben mußte.«
»Das kann man wohl sagen«, meinte Wimsey, hocherfreut, daß sich das Thema geradezu von selbst zur Sprache brachte. »Das muß ja für Sie alle ein schwerer Schlag gewesen sein.«
»Allerdings«, sagte die Köchin. »Ich kann jetzt noch kaum daran denken. Daß ein Mensch auf diese Art im Haus stirbt, und vergiftet auch noch, wenn man ihm sein Abendessen gekocht hat – das kann einem schon ganz schön zusetzen, nicht?«
»Am Essen hat es jedenfalls nicht gelegen«, sagte Wimsey leutselig.
»Um Gottes willen, nein, Sir – das haben wir aber auch ganz klar bewiesen. Nicht daß in meiner Küche überhaupt so ein Unglück passieren könnte – das möchte ich erst sehen! Aber die Leute reden gern so was, wenn man ihnen eine Möglichkeit gibt. Jedenfalls ist nichts auf den Tisch gekommen, wovon der gnädige Herr und Hannah und ich nicht auch gegessen haben, und wie froh wir darüber waren, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen.«
»Ich kann es mir wirklich vorstellen«, sagte Wimsey und wollte schon die nächste Frage anbringen, als es am Dienstboteneingang energisch läutete.
»Das ist der Fleischer«, sagte die Köchin. »Sie müssen mich entschuldigen, Sir. Das Mädchen liegt mit der Grippe im Bett, und ich bin heute morgen ohne Hilfe. Ich werde Mr. Urquhart sagen, daß Sie da waren.«
Sie schloß die Tür, und Wimsey machte sich auf den Weg in die Bedford Row, wo er von einem ältlichen Sekretär empfangen wurde, der ihm ohne Umstände Mr. Urquharts Adresse gab.
»Bitte sehr, Mylord. Bei Mrs. Wrayburn, Applefold, Windle, Westmoreland. Aber ich glaube nicht, daß er lange fortbleiben wird. Können wir inzwischen schon etwas für Sie tun?«
»Danke, nein. Ich wollte ihn persönlich sprechen, verstehen Sie? Es geht, genauer gesagt, um den überaus traurigen Tod seines Vetters, Mr. Boyes.«
»Ach so, Mylord? Schockierend das alles. Mr. Urquhart war außer sich, daß so etwas in seinem eigenen Haus geschehen konnte. Ein feiner junger Mensch, dieser Mr. Boyes. Er und Mr. Urquhart waren sehr gute Freunde, und er hat es sich sehr zu Herzen genommen. Haben Sie dem Prozeß beigewohnt, Mylord?«
»Ja. Was sagen Sie zum Ausgang?«
Der Sekretär spitzte die Lippen.
»Ich will nicht verhehlen, daß ich sehr erstaunt war. Mir erschien der Fall völlig klar. Aber auf Geschworene kann man sich nie verlassen, schon gar nicht heute, wo man auch noch Frauen dafür nimmt. Wir bekommen in unserem Beruf so einiges vom schönen Geschlecht zu sehen«, sagte der Sekretär mit pfiffigem Lächeln, »und die allerwenigsten von ihnen tun sich durch juristischen Sachverstand hervor.«
»Wie wahr«, sagte Wimsey. »Wenn die Frauen nicht wären, gäbe es viel weniger Streit, und somit ist doch alles gut fürs Geschäft.«
»Haha! Sehr gut, Mylord. Na ja, wir müssen die Dinge nehmen, wie sie kommen, aber in meinen Augen – und ich bin da altmodisch – wären
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