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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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in der Boheme auszukundschaften hatte, pflegte er sich Miss Marjorie Phelps’ Hilfe zu versichern. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt mit der Herstellung von Porzellanfigurinen und war daher meist in ihrem oder in jemand anderes Atelier anzutreffen. Ein Anruf um zehn Uhr morgens erwischte sie höchstwahrscheinlich vor einer Pfanne mit Rührei auf dem Gasherd. Gewiß, es gab da zwischen ihr und Lord Peter ein paar Episoden, etwa um die Zeit der Bellona-Affäre, die es ein wenig peinlich und auch rücksichtslos erscheinen ließen, sie für die Angelegenheit Harriet Vane einzuspannen, aber Wimsey hatte keine Zeit, bei der Wahl seiner Werkzeuge auch noch wählerisch zu sein, und konnte sich an chevaleresken Skrupeln nicht aufhalten. Er meldete das Gespräch an und war sehr erleichtert, als er ihr »Hallo?« hörte.
    »Hallo, Marjorie! Hier ist Peter Wimsey. Wie geht’s?«
    »Oh, danke, gut. Wie schön, mal wieder deine melodische Stimme zu hören. Womit kann ich Seiner Majestät Oberfahnder dienen?«
    »Kennst du einen gewissen Vaughan, der in die Mordgeschichte Philip Boyes verwickelt ist?«
    »Ach Gott, Peter! Hast du das in die Hand genommen? Wie köstlich! Auf welcher Seite stehst du?«
    »Verteidigung.«
    »Hurra!«
    »Woher diese Begeisterung?«
    »Einfach weil’s viel aufregender und schwieriger ist, oder?«
    »Das fürchte ich auch. Kennst du übrigens Miss Vane?«
    »Ja und nein. Ich habe sie in der Boyes-Vaughan-Clique mal gesehen.«
    »Gefällt sie dir?«
    »So-so.«
    »Gefiel er dir? Ich meine, Boyes?«
    »Hat mich kalt gelassen.«
    »Ich will ja auch nur wissen, ob er dir gefiel!«
    »So einer gefällt einem nicht. Entweder man verliebt sich in ihn oder nicht. Er war nicht der Typ des blauäugigen Goldjungen, verstehst du?«
    »Aha. Was ist mit Vaughan?«
    »Anhängsel.«
    »So?«
    »Das treue Hündchen. Niemand unterstehe sich, meinem Freund, dem Genie, am Zeug zu flicken. So einer.«
    »Aha!«
    »Sag nicht immer ›Aha‹. Möchtest du diesen Vaughan kennenlernen?«
    »Wenn es nicht zu viele Umstände macht.«
    »Na ja, dann komm mal heute abend mit einem Taxi vorbei, damit wir die Runde machen können. Irgendwo treffen wir ihn bestimmt an. Auch die Gegenseite, wenn du Wert darauf legst – ich meine, die hinter Harriet Vane stehen.«
    »Die Frauen, die als Zeugen aufgetreten sind?«
    »Ja. Eiluned Price wird dir gefallen, glaube ich. Sie hat etwas gegen alles, was Hosen trägt, aber wenn man einen Freund braucht, ist sie da.«
    »Ich komme, Marjorie. Gehst du mit mir essen?«
    »Täte ich schrecklich gern, Peter, aber ich glaube, es geht nicht. Ich habe so furchtbar viel zu tun.«
    »Alles klar. Dann komme ich gegen neun Uhr angerollt.«
    Wie vereinbart saß Wimsey um neun mit Marjorie Phelps in einem Taxi, um die Runde durch die Ateliers zu machen.
    »Ich habe ein bißchen herumtelefoniert«, sagte Marjorie, »und glaube, daß wir ihn bei den Kropotkys antreffen. Sie sind Boyes-Anhänger, Bolschewisten und große Musikfreunde. Ihre Getränke sind schlecht, aber ihr russischer Tee ist halbwegs genießbar. Soll das Taxi warten?«
    »Ja. So, wie sich’s anhört, brauchen wir hier vielleicht noch eine schnelle Rückzugsmöglichkeit.«
    »Schön, wenn man so reich ist. Wir müssen dort rechts über den Hof, dann ist es über dem Stall der Petrovitchs. Laß mich mal lieber voranstolpern.«
    Sie tasteten sich eine schmale, verwinkelte Treppe hinauf. Oben angekommen, verriet ihnen ein apartes Gemisch aus Klaviergeklimper, Geigengekrächze und dem Klappern von Küchenutensilien, daß irgendeine Geselligkeit im Gange war.
    Marjorie hämmerte laut an eine Tür, wartete nicht erst auf Antwort und stieß sie gleich auf. Wimsey, der ihr auf den Fersen folgte, fühlte die Welle von Lärm, Hitze, Qualm und Kochdünsten, die ihm entgegenschlug, wie eine Ohrfeige.
    Das Zimmer war sehr klein und von einer einzigen elektrischen Birne, deren Licht auch noch von einer Kugel aus buntem Glas gedämpft wurde, schwach erhellt. Es war zum Bersten gefüllt mit Menschen, deren seidenbestrumpfte Beine, nackte Arme und bleiche Gesichter ihm wie Glühwürmchen aus der Finsternis entgegenschimmerten. In der Mitte wogten dicke Schwaden Tabakrauch hin und her. In einer Ecke bullerte ein rotglühender Anthrazitofen mit einem röhrenden Gasofen in der anderen Ecke um die Wette und brachte den Raum auf Backofentemperaturen. Auf dem Ofen stand ein großer, zischender Wasserkessel; auf einem Beistelltischchen dampfte ein riesiger

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