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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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sagte Vaughan, indem er die blutunterlaufenen Augen todtraurig auf Lord Peter richtete, »könnte man sich doch glatt die Kehle durchschneiden, nicht wahr?«
    Wimsey äußerte sich zustimmend.
    »Übrigens«, sagte er, »Sie waren den ganzen letzten Tag mit ihm zusammen, bevor er zu seinem Vetter ging. Sie glauben nicht, daß er etwas bei sich hatte – ich meine Gift oder so etwas? Ich will nicht herzlos erscheinen – aber er war ja ein unglücklicher Mensch – es wäre eine schreckliche Vorstellung, daß er –«
    »Nein«, sagte Vaughan, »nein. Das hätte er nie getan, das kann ich beschwören. Er hätte es mir gesagt – er hat mir in den letzten Tagen alles anvertraut. Ich hatte Zugang zu allen seinen Gedanken. Er war von diesem Weibstück schwer gekränkt worden, aber er wäre nicht abgetreten, ohne es mir zu sagen oder sich wenigstens zu verabschieden. Außerdem – er hätte nicht gerade diesen Weg gewählt. Warum auch? Ich hätte ihm doch –«
    Er besann sich und warf einen Blick zu Wimsey, doch als er nichts als mitfühlende Aufmerksamkeit sah, fuhr er fort:
    »Wir haben einmal über derartige Mittel gesprochen, das weiß ich noch. Hyoscin – Veronal – lauter solche Sachen. Er hat gesagt: ›Wenn ich je Schluß machen will, Ryland, zeigst du mir den Weg dazu.‹ Und das hätte ich getan – wenn er es wirklich gewollt hätte. Aber Arsen! Philip, der die Schönheit so liebte – glauben Sie, daß er ausgerechnet Arsen gewählt hätte? Das Gift des kleinen Mannes? Absolut unmöglich.«
    »Es ist gewiß nichts Schönes«, sagte Wimsey.
    »Sehen Sie«, sagte Vaughan heiser und mit großer Geste – er hatte auf den Kaviar einen Kognak nach dem andern gekippt und ging allmählich aus sich heraus –, »sehen Sie das!«
    Er holte ein kleines Fläschchen aus seiner Brusttasche. »Das wartet nur, bis ich die Herausgabe von Phils Büchern vollendet habe. Es ist ein Trost, das bei sich zu haben und ansehen zu können. Friedlich. Hinausgehen durch das elfenbeinerne Tor – das ist klassisch – ich bin nämlich mit den Klassikern aufgewachsen. Die Leute hier würden einen auslachen, aber Sie brauchen ihnen nicht zu sagen, daß ich es gesagt habe – komisch, wie das hängenbleibt – › tendebantque manus ripae ulterioris amore, ulterioris amore ‹ – wie ging das noch mit den Seelen, die so dicht gedrängt waren wie die Blätter in Vallombrosa – nein, das ist Milton – amorioris ultore – ultoriore – hol’s der Henker – armer Phil!«
    Hier brach Mr. Vaughan in Tränen aus und streichelte das Fläschchen.
    Wimsey, dessen Kopf und Ohren hämmerten, als säße er in einem Maschinenraum, erhob sich leise und verzog sich. Jemand hatte ein ungarisches Lied zu singen angefangen, und der Ofen war inzwischen weißglühend. Er machte Marjorie, die mit ein paar Männern in einer Ecke saß, verzweifelte Zeichen. Einer von ihnen schien ihr seine Gedichte vorzutragen, den Mund fast in ihrem Ohr, und ein anderer malte etwas auf die Rückseite eines Umschlags, während die andern dazu juchzten und lachten. Der Krach, den sie machten, irritierte die Sängerin, die mitten im Ton abbrach und zornig rief:
    »Menschenskinder, dieser Lärm! Diese Störungen! Unerträglich! Ich komme raus! Hört doch auf! Ich fange noch einmal von vorn an, ganz von vorn.«
    Marjorie sprang auf und entschuldigte sich.
    »Ich bin ein Trampel – ich halte dir deine Menagerie nicht in Ordnung, Nina. Wir sind die reinsten Nervtöter. Verzeih mir, Marya, ich bin heute schlecht aufgelegt. Am besten greife ich mir jetzt Peter und ziehe wieder ab. Komm doch ein andermal zu mir singen, wenn ich in besserer Stimmung bin und mehr Platz zur Ausdehnung meiner Gefühle habe. Gute Nacht, Nina – es war riesig nett – und Boris, dieses Gedicht ist das beste, das du bisher geschrieben hast, ich konnte nur nicht richtig zuhören. Peter, sag ihnen, wie schlecht gelaunt ich heute schon den ganzen Abend bin, und bring mich nach Hause.«
    »Stimmt«, sagte Wimsey, »die Nerven, wißt ihr – wirkt sich auf die Manieren aus und so.«
    »Manieren«, sagte ein bärtiger Herr plötzlich und laut, »sind etwas für die Bourgeoisie.«
    »Vollkommen richtig«, sagte Wimsey. »Richtig schlechte Angewohnheit – sorgt nur für Repressionen im Dingsda. Komm, Marjorie, sonst werden wir noch alle miteinander höflich.«
    »Ich fange noch einmal an«, sagte die Sängerin, »ganz von vorn.«
    »Puh!« machte Wimsey auf der Treppe.
    »Ja, ich weiß. Ich komme mir

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