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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Oktaven und Intervalle, wenn er den Schrei der Leidenschaft hervorbringt. Nur der Mensch ist so in seinen verdummenden Konventionen gefangen – oh, Marjorie, entschuldige – was ist?«
    »Komm mal mit und unterhalte dich mit Ryland Vaughan«, sagte Marjorie. »Ich habe ihm gesagt, daß du ein großer Bewunderer von Philip Boyes’ Büchern bist. Hast du sie überhaupt gelesen?«
    »Ein paar. Aber ich glaube, mir wird schwindlig.«
    »Das wird in einer Stunde noch schlimmer. Komm also lieber gleich mit.« Sie bugsierte ihn in ein etwas entlegenes Eckchen beim Gasofen, wo ein übertrieben langer, dünner Mann auf einem Kissen auf dem Boden saß und mit einer Vorlegegabel Kaviar aus einem Glas aß. Er begrüßte Wimsey mit einer Art von traurigem Enthusiasmus.
    »Widerwärtig hier«, sagte er. »Alles ist widerwärtig. Der Ofen ist viel zu heiß. Trinken Sie was. Was soll man in drei Teufels Namen sonst schon tun. Ich komme nur hierher, weil Philip immer hierherkam. Reine Gewohnheit. Es widert mich an, aber sonst kann man ja nirgends hin.«
    »Sie haben ihn natürlich gut gekannt«, meinte Wimsey, indem er auf einem Papierkorb Platz nahm und sich wünschte, er wäre in der Badehose gekommen.
    »Ich war sein einziger wirklicher Freund«, sagte Ryland Vaughan mit Trauerstimme. »Die anderen haben alle nur von ihm schmarotzt. Affen! Papageien, alle miteinander.«
    »Ich habe seine Bücher gelesen und finde sie sehr gut«, sagte Wimsey nicht ganz unaufrichtig. »Aber mir scheint er ein unglücklicher Mensch gewesen zu sein.«
    »Keiner hat ihn verstanden«, sagte Vaughan. »Schwierig hat man ihn genannt – aber wer wäre nicht schwierig, wenn er gegen so vieles zu kämpfen hat? Das Blut haben sie ihm ausgesaugt, und seine Verleger, diese Diebe, haben jeden Penny genommen, den sie in die Finger kriegten. Und dann hat diese Hexe von einer Frau ihn auch noch vergiftet. Mein Gott, was für ein Leben!«
    »Ja, aber warum hat sie das getan – wenn sie es getan hat?«
    »Ach, natürlich hat sie es getan! Nichts als gemeine Bosheit und Eifersucht, das war der ganze Grund. Bloß weil sie selbst nur Kitsch schreiben konnte. Harriet Vane hat sich dasselbe eingebildet wie alle diese Weiber – sie glauben, sie können was. Sie hassen den Mann und hassen seine Arbeit. Man meint doch, es hätte ihr genügen müssen, einem Genie wie Phil zu dienen und zur Hand zu gehen, oder? Meine Güte, er hat sie bei seiner Arbeit sogar um Rat gefragt – um ihren Rat! Großer Gott!«
    »Hat er auf den Rat gehört?«
    »Darauf gehört? Sie hat ihm keinen gegeben. Sie äußere sich nicht über die Arbeit eines Kollegen, hat sie gesagt. Eines Kollegen ! So eine Unverfrorenheit! Natürlich hatte sie bei uns allen nichts zu melden, aber wieso konnte sie den Unterschied zwischen seinem Geist und dem ihren nicht begreifen? Natürlich war es für Philip von Anfang an aussichtslos, sich mit so einer Sorte Frau überhaupt einzulassen. Einem Genie muß man dienen, nicht widersprechen. Ich habe ihn seinerzeit gewarnt, aber er war ihr verfallen. Und sie dann auch noch heiraten zu wollen -!«
    »Warum wollte er das?« fragte Wimsey.
    »Reste seiner frommen Erziehung, nehme ich an. Es war wirklich ein Bild des Jammers. Außerdem hat wohl auch dieser Urquhart einiges Unheil angerichtet. So ein aalglatter Advokat – kennen Sie ihn?«
    »Nein.«
    »Er hat ihn sich geschnappt – ich kann mir vorstellen, daß die Familie ihn darauf angesetzt hatte. Ich habe seinen Einfluß auf Phil schon bemerkt, lange bevor der eigentliche Ärger anfing. Vielleicht ist es ganz gut, daß er tot ist. Es wäre gespenstisch gewesen, ihn verspießern und seßhaft werden zu sehen.«
    »Wann hat denn sein Vetter angefangen, sich an ihn heranzumachen?«
    »Hm – so vor zwei Jahren – etwas früher vielleicht. Hat ihn zum Essen eingeladen und so weiter. Ich habe ihm auf den ersten Blick angesehen, daß er darauf aus war, Phil zu ruinieren, und zwar an Leib und Seele. Was er brauchte – was Phil brauchte, meine ich –, war Freiheit und Bewegungsraum, aber mit dieser Frau und dem Vetter und seinem Vater im Hintergrund – na ja! Jetzt nützt es auch nichts mehr, darüber zu weinen. Sein Werk ist uns geblieben, und das war das Beste an ihm. Wenigstens hat er es mir anvertraut. In seinem literarischen Nachlaß kann Harriet Vane jedenfalls nicht herumpfuschen.«
    »In Ihren Händen ist er bestimmt gut aufgehoben«, sagte Wimsey.
    »Aber wenn man bedenkt, was noch hätte werden können«,

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