Starkes Gift
fragen, wer er ist. Mrs. Craigs Kontrollgeist ist Fedora – sie war Sklavin am Hofe Poppaeas.«
»Nein, wirklich?« sagte Miss Climpson.
»Sie hat uns eines Nachts ihre Geschichte erzählt. So romantisch. Man hat sie den Löwen vorgeworfen, weil sie Christin war und sich nicht mit Nero einlassen wollte.«
»Wie interessant!«
»Ja, nicht? Aber sie spricht nicht sehr gut englisch und ist manchmal ziemlich schwer zu verstehen. Und manchmal läßt sie die Störenfriede dazwischenkommen. Pongo hat uns ja George Washington sehr schnell vom Hals geschafft. Sie werden wiederkommen, ja? Morgen abend?«
»Gewiß, wenn Sie es möchten.«
»Ja, bitte. Und nächstes Mal müssen Sie auch nach einer Botschaft für sich selbst fragen.«
»Das werde ich tun«, sagte Miss Climpson. »Es war ja so eine Offenbarung für mich – einfach wunderbar. Ich hätte mir nie träumen lassen, daß ich so eine Gabe besitze.«
Und das war ebenfalls die Wahrheit.
18. Kapitel
Es wäre natürlich sinnlos gewesen, wenn Miss Climpson versucht hätte, vor den Damen der Pension zur Schönen Aussicht zu verheimlichen, wo sie gewesen war und was sie getan hatte. Ihre nächtliche Rückkehr im Taxi hatte bereits die lebhafteste Neugier geweckt, und so sagte sie die Wahrheit, um nicht Gefahr zu laufen, schlimmerer Ausschweifungen bezichtigt zu werden.
»Meine liebe Miss Climpson«, sagte Mrs. Pegler, »Sie halten mich hoffentlich nicht für aufdringlich, aber ich muß Sie vor dieser Mrs. Craig und ihrem Freundeskreis warnen. Ich bezweifle ja nicht, daß Miss Booth eine hervorragende Frau ist, aber ich mag die Kreise nicht, in denen sie verkehrt. Außerdem halte ich nichts vom Spiritismus. Das ist ein Vordringen in Bereiche, die nicht für uns bestimmt sind, und kann sehr unerwünschte Folgen haben. Wenn Sie eine verheiratete Frau wären, würde ich mich hier etwas deutlicher ausdrücken, aber Sie dürfen mir glauben, daß solche Betätigungen auf mehr als eine Weise ernste Auswirkungen auf den Charakter haben können.«
»Oh, Mrs. Pegler«, sagte Miss Etheredge, »ich finde, das sollten Sie wirklich nicht sagen. Einer der charakterlich saubersten Menschen, die ich kenne – eine Frau, die zur Freundin zu haben eine Ehre ist – ist Spiritistin, und sie lebt und wirkt wie eine Heilige.«
»Das kann sehr wohl sein, Miss Etheredge«, antwortete Mrs. Pegler, indem sie ihre füllige Figur höchst eindrucksvoll aufrichtete, »aber darum geht es nicht. Ich sage nicht, daß ein Spiritist kein gutes Leben führen kann, aber ich sage, daß die meisten von ihnen im Charakter sehr zu wünschen übrig lassen und alles andere als wahrheitsliebend sind.«
»Ich bin im Laufe meines Lebens schon etlichen sogenannten Medien begegnet«, pflichtete Miss Tweall ihr bissig bei, »und sie waren alle, ausnahmslos, Menschen, denen ich nicht weiter trauen würde, als ich sehen kann – wenn überhaupt so weit.«
»Das trifft auf viele von ihnen sicher zu«, sagte Miss Climpson, »und gewiß kann niemand das besser beurteilen als ich selbst. Aber ich glaube und hoffe, daß manche doch wenigstens aufrichtig sind mit dem, was sie sagen, auch wenn sie sich irren. Was meinen Sie, Mrs. Liffey?« wandte sie sich an die Besitzerin des Etablissements.
»N-nun«, meinte Mrs. Liffey – von Berufs wegen gehalten, so weit wie möglich allen Parteien recht zu geben –, »ich muß sagen, daß nach allem, was ich gelesen habe, und das ist nicht viel, denn ich habe kaum Zeit zum Lesen – trotzdem, ich meine, das eine oder andere zeigt ja doch, daß in bestimmten Fällen und unter streng kontrollierten Bedingungen möglicherweise ein Körnchen Wahrheit an den Behauptungen der Spiritisten sein könnte. Allerdings würde ich persönlich nie etwas damit zu tun haben wollen; wie Mrs. Pegler schon sagt, gewöhnlich halte ich nicht viel von der Sorte Leute, die sich damit abgibt, obwohl es da sicher viele Ausnahmen gibt. Ich finde, man sollte solche Fragen lieber Leuten überlassen, die für so etwas qualifiziert sind.«
»Da gebe ich Ihnen recht«, sagte Mrs. Pegler. »Ich kann mit Worten gar nicht den Abscheu ausdrücken, den ich empfinde, wenn Frauen wie diese Mrs. Craig sich in Bezirke vordrängen, die uns allen heilig sein sollten. Stellen Sie sich vor, Miss Climpson, daß diese Frau – die ich nicht kenne und auch gar nicht erst kennenlernen will – tatsächlich einmal die Unverschämtheit besessen hat, mir zu schreiben, sie habe bei einer ihrer Séancen, wie sie das
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