Starkes Gift
Verstand nennt, aus dem Körper heraus ist, wartet der Geist in der Verbannung auf die Große Verwandlung. Wieso versteht ihr das nicht? Beeilt euch. Große Schwierigkeiten.
F.: Tut uns leid. Hast du mit irgend etwas Schwierigkeiten?
A.: Große Schwierigkeiten.
F.: Ich hoffe, es hat nichts mit der Behandlung durch Dr. Brown zu tun, oder durch mich – A. (Pongo): Red keinen Unsinn. (Cremorna:) Mein Testament.
F.: Willst du dein Testament ändern?
A.: Nein.
Miss Climpson: Das ist auch ein Glück, denn ich glaube nicht, daß das rechtlich ginge. Was sollen wir denn damit tun, liebe Mrs. Wrayburn?
A.: Schickt es Norman.
F.: Mr. Norman Urquhart?
A.: Ja. Er weiß Bescheid.
F.: Er weiß, was er damit machen soll?
A.: Er braucht es.
F.: Gut. Kannst du uns sagen, wo wir es finden?
A.: Vergessen. Sucht.
F.: Ist es im Haus?
A.: Ich sage doch, vergessen. Tiefes Wasser. Keine Sicherheit. Schwächer. Schwächer …
(Die Schrift wurde hier sehr schwach und unregelmäßig.)
F.: Versuch dich zu erinnern.
A.: In der – im – B – B – B – (großes Durcheinander, und der Bleistift kritzelte planlos). Keinen Zweck. (Plötzlich in einer anderen Handschrift und sehr aufgeregt:) Geht aus der Leitung, geht aus der Leitung, geht aus der Leitung!
F.: Wer sagt das?
A. (Pongo): Sie ist fort. Der böse Einfluß ist wieder da. Haha! Macht Schluß! Ende! (Der Bleistift lief dem Medium geradewegs außer Kontrolle, und nachdem er wieder auf dem Tisch lag, verweigerte er jede weitere Antwort.)
»Wie furchtbar ärgerlich!« rief Miss Booth.
»Sie haben wohl keine Ahnung, wo das Testament ist?«
»Nicht im mindesten. ›In der – im – B –‹, hat sie gesagt. Was könnte das denn nun sein?«
»Vielleicht in der Bank«, riet Miss Climpson.
»Das wäre möglich. Dann wäre natürlich Mr. Urquhart der einzige, der herankäme.«
»Warum hat er es dann noch nicht geholt? Sie sagt doch, er braucht es.«
»Natürlich. Dann muß es also irgendwo im Haus sein. Was könnte das B bedeuten?«
»Büro, Boudoir, Bad, Besenkammer –?«
»Bett?«
»Könnte so ziemlich alles heißen.«
»Wie schade, daß sie die Botschaft nicht mehr vollenden konnte. Sollen wir es noch mal versuchen? Oder sollen wir an den wahrscheinlichsten Stellen suchen?«
»Suchen wir zuerst, und wenn wir es nicht finden, versuchen wir’s noch mal.«
»Gute Idee. In einer der Schreibtischschubladen liegen ein paar Schlüssel, die zu ihren Truhen und Schränken gehören.«
»Probieren wir sie aus«, meinte Miss Climpson kühn.
»Das tun wir. Sie kommen doch mit und helfen mir?«
»Wenn Sie es für ratsam halten. Eigentlich bin ich ja hier fremd –«
»Die Botschaft war ebenso für Sie wie für mich. Mir wäre es lieber, wenn Sie mitkämen. Ihnen könnten vielleicht die richtigen Stellen einfallen.«
Miss Climpson zierte sich nicht länger, und sie gingen nach oben. Es war schon eine merkwürdige Geschichte – praktisch ein Diebstahl an einer hilflosen alten Frau, im Interesse eines Menschen, den sie nie gesehen hatte. Sonderbar. Aber es mußte ein gutes Motiv dahinterstecken, sonst würde Lord Peter es nicht verlangen.
Oberhalb der schönen, großzügig geschwungenen Treppe befand sich ein breiter Korridor, dessen Wände dicht an dicht mit Porträts und Zeichnungen, eingerahmten Autogrammbitten, Programmen und all dem erinnerungsseligen Krimskrams der Theaterwelt vollgehängt waren.
»Ihr ganzes Leben ist hier in diesen beiden Zimmern zu sehen«, sagte die Pflegerin. »Wenn diese Sammlung einmal verkauft werden sollte, würde sie eine Menge Geld einbringen. Irgendwann wird sie wohl verkauft werden.«
»Wissen Sie, wer dann das Geld bekommt?«
»Nun, ich habe immer geglaubt, daß Mr. Urquhart es bekommt – er ist mit ihr verwandt; ich glaube sogar, er ist der einzige Verwandte. Aber darüber hat man mir nie etwas gesagt.«
Sie stieß eine große, elegant mit altertümlichen Bögen und Täfelungen verzierte Tür auf und knipste das Licht an.
Es war ein großes, stattliches Zimmer mit drei hohen Fenstern und einer prunkvollen Stuckdecke mit Blumen und Lüstern. Ihre reine Schönheit wurde jedoch verhöhnt und beleidigt durch eine häßliche Tapete mit Rosenspalieren und schwere, grellrote Vorhänge mit dicken Goldfransen und -bommeln, ähnlich den Bühnenvorhängen viktorianischer Theater. Jeder Fußbreit Boden war mit Möbeln vollgestellt – Intarsienschränkchen in wildem Gedränge mit Mahagonichiffonieren; Tischchen voller Zierat
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