Stars & Stripes und Streifenhörnchen
vermutlich noch nie gehört, ich hatte einen solchen Vortrag ja auch noch nie gehalten. Er schaute verstört, und die Frau brach schließlich das Eis: »Beachten Sie ihn nicht weiter. Er ist neu hier.« Und also ließ er sich nicht weiter aufhalten und verstaute weiterhin jedes Glas und jede Gurke in einer dünnen Plastiktüte.
Zu Hause, nachdem wir eine knappe Million Einkaufstüten in die Küche geschleppt hatten, ging der Disput in die Verlängerung. Ich referierte über das Kyoto-Protokoll, Konsum, Verpackung, Plastik und Öl. Ich war ein bisschen stolz auf diesen Exkurs, aber die Frau des Hauses sprach: »Gewöhn dich dran, wir sind Gast in diesem Land.«
Das war am zweiten Tag unserer Zeit hier in Amerika. Und ich habe mich daran gewöhnen müssen. Manchmal nerve ich die Frau und Töchter immer noch mit ehrgeizigen und gleichermaßen nutzlosen Vorträgen – »wisst ihr eigentlich, dass Amerika fünf Prozent der Weltbevölkerung stellt, aber achtundzwanzig Prozent aller Emissionen verursacht? Oder wisst ihr, dass man 240 Bäume braucht, um den Kohlendioxid-Ausstoß nur eines Autos wettzumachen? Oder wisst ihr, dass in Amerika hundert Milliarden Plastiktüten pro Jahr verbraucht werden und man für ihre Herstellung zwölf Millionen Barrel Öl benötigt?«
Die Frau sagt in solchen Fällen: »Du klingst wie der späte Trittin«, was stimmen und daran liegen mag, dass ich seit unserem ersten Tag in Amerika eine gewisse Anti-Plastiktüten-Obsession entwickelt und diese Rede womöglich schon überstrapaziert habe. Nun hat Amerika seit unserer Ankunft sein grünes Bewusstsein entdeckt. Zeitungen und Fernsehen berichten ausführlich über Global Warming, Al Gore bekam erst den Oscar und dann den Nobelpreis, und die Goreschen Ausläufer sind bis in unseren Supermarkt fühlbar, wo man neuerdings auf ausdrückliche Nachfrage jetzt auch Papiertüten oder Jute-Taschen kriegt. Mit großem Eifer holt das Land nach, was in Europa längst gang und gäbe ist. Das ist insbesondere prima für die Töchter des Hauses, die gewissermaßen die Sozialisation ihrer Eltern nachleben dürfen. Immer wieder gern lassen sie sich von der Frau erzählen, wie der Mann bei ihrer allerersten Begegnung aussah: »Papa hatte eine lila Latzhose an und trug einen Lenin-Sticker.« Latzhosen sind gerade wieder mächtig in in Amerika, Lenin-Sticker nicht so. Grün ist auch in, grün ist hip. Die ältere Tochter ist schon sehr, sehr umweltbewusst und trägt aus organisch angepflanzter Baumwolle hergestellte T-Shirts mit dem Aufdruck: »Rettet die Bäume. Putzt eure Hintern mit Eulen!«
Das ist gewiss ein erster Schritt, doch der Weg ist noch weit.
In Deutschland trennten wir Müll mit heiligem Ernst und politisch korrekt, und auch in Amerika wollten wir Müll mit heiligem Emst und politisch korrekt trennen. Die Zeitungen in die blauen Container, die Flaschen in den grünen Container, die Blätter, nun ja, einfach in den Garten. So hielten wir das. Jeden Mittwochabend schleppten wir die Zeitungen und die Flaschen-Container brav an die Straße, und morgens waren die Container leer, und zuweilen sagte die Frau: »Siehst du, die Amerikaner sind doch viel besser als ihr Ruf.«
Dann, eines Tages, lernten wir Joey kennen. Joey ist unser lokaler Müllmann, er kommt zweimal die Woche mit einem kleinen, grünen Lastwagen. Er ist eine Seele von Mensch. Joey hatte die politisch korrekten Bemühungen der zugezogenen Europäer eine Zeit lang wohlwollend betrachtet, aber irgendwann nahm er die Frau beiseite und sprach: »Ihr müsst das nicht machen. Es kommt sowieso alles auf einen Haufen.« Sodann klärte Joey auf, dass die Müll-Entsorgung in unserer kleinen Stadt fest in der Hand der Mafia sei und jeder in unserer kleinen Stadt wisse, dass die Zeitungs- und Flaschenabholer zur Familie Finocchio gehörten, Schlimmfinger der übelsten Sorte, die sich, wie Joey ausführte, um politisch korrekte Mülltrennung einen Dreck scheren, sehr wohl aber um die Tantiemen unserer kleinen Stadt. Jeder wisse das, sagte Joey, jeder, bis auf uns, die Europäer. Er murmelte: »Ich sag's euch, alles wird zusammengekippt«, und er sagte das in höchst konspirativem Tonfall, als fürchte er unmittelbare Vendetta seitens der Finocchios. Joey bot an, gegen ein kleines Trinkgeld künftig auch unsere Flaschen und unsere Zeitungen zu entsorgen. Aber wir verzichteten auf Joeys großzügige Offerte, weil wir es uns mit den Brüdern Finocchio nicht verderben wollten. Bis heute wissen wir
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