Stars & Stripes und Streifenhörnchen
fand und den Einreiseprozess beträchtlich verzögerte.
Wir fuhren nach Hause, aßen Grünkohl und tranken. B. hatte sich angewöhnt, ihren Aggregatzustand nach der Anzahl von blauen Wunderpillen zu bemessen, welche die Frau des Hauses nach ausgiebigem Alkoholkonsum gerne kredenzt. Die blauen Pillen sind ein prophylaktisches Kopfschmerzmittel gegen Kater. Eine blaue Pille ist in etwa das Äquivalent für eine Flasche Wein. Pro Person. B. verlangte oft zwei blaue Pillen vor der Nachtruhe morgens um drei. Wie im Übrigen erstaunlich viele Besucher in ihren Gästebuch-Einträgen auf diese Hangover-Arznei rekurrierten. Sie nannten sie wahlweise »Wunderdroge« oder »Drachentöter« oder schlicht »Lebensretter«, und manchmal fragten wir uns, ob wir alles richtig gemacht haben mit unserem Besuch, aber dann trafen wir Todd von der »Liquor Pantry«, und er freute sich aufrichtig und erkundigte sich nach dem Wohlbefinden der Gäste, und also begann der Zyklus von Wein und blauen Pillen von Neuem. Denn Besuch ist immer, und die Töchter rücken längst protestlos zusammen oder opfern ihre Zimmer oder ziehen zu Schulfreunden.
Wir waren mit unserem lieben Besuch wenigstens 20-mal auf dem Empire State Building und dem Rockefeller Center, 50-mal an Ground Zero und ebenso oft im Central Park. Wir schipperten mit dem lieben Besuch mit der Fähre nach Staten Island und zurück, weil von dort der Blick auf die Skyline unvergleichlich ist und es außerdem nichts kostet, was den Besuch meist besonders freut. Wir gingen mit kinderreichen Gästen in den Bronx Zoo oder zum Baseball. Wir hörten Gospel in Harlem und karriolten sie nach Queens auf die Roosevelt Avenue, die bunteste Straße der Welt, an deren Rändern Menschen aus 90 Nationen leben. Abends grillten wir, falls keine unerwartete Dienstreise dazwischenkam, oder die Frau kochte groß. Zuweilen nahmen wir den lieben Besuch aus Deutschland auch mit in die Liquor-Stores und stellten ihn Todd vor, »good to see you again«, der von den teutonischen Stahl-Lebern sehr angetan war, »hope to see you again!«
Todd war vor allem angetan von P., der nach seinem sechsten Besuch ins Gästebuch schrieb: »Wow, ich habe nachgeblättert. Es ist schon lange her, dass ich in eurem Haus war«, sechs Monate, und damit schloss: »Ich bin schon bald wieder da. In circa fünf Wochen mit der ganzen Familie!«
Nach fünf Wochen kamen P. und Familie, drei Kinder, alle Kategorie »Liebe Freunde«. Wir verlebten eine dolle Zeit. Die Töchter campierten auf Matratzen, wir grillten jeden Abend und fütterten Streifenhörnchen, solange bis »Bad Cat« kam, nach dem wir die Uhr stellen konnten. Der Fernseher im Wohnzimmer lief auf Stadionlautstärke, Türen gingen zu Bruch, Tränen flossen. Wir fuhren in den Bronx Zoo und mit der Staten Island Ferry und aufs Empire State Building. Die Frau kaufte in der Zwischenzeit Wein und Bier und Würstchen, und nach drei Tagen musste der Mann des Hauses völlig unerwartet auf eine definitiv unverschiebbare Dienstreise. P. schrieb auf die letzte Seite des Gästebuches: »Erster und letzter Eintrag in diesem Buch. Ist das nicht was? See you soon!«
Zurück in die Zukunft
Müll, Mafia und mein Freund Al
Die Frau und der Mann verstehen sich prächtig, wenn nicht gerade Fußball-Welt oder -Europameisterschaften laufen und England gegen Deutschland spielt. Aber diese Turniere sind nur alle zwei Jahre, und in der restlichen Zeit verläuft das eheliche Miteinander weitgehend störungsfrei, wenn nicht gerade zu viel Besuch ist und ich mir Dienstreisen so lege, um der Gästeflut zu entfliehen. Ansonsten aber: weitgehend störungsfrei.
Der erste Großeinkauf in einem amerikanischen Supermarkt des Namens »Stop and Shop« allerdings mündete gleich in eine Krise. Ich legte mich mit dem Kassierer an, der jedes Glas Senf und jede Dose Cola einzeln in einer Plastiktüte verstaute. Den Einkaufswagen, und es war ein großer Einkaufswagen, denn in Amerika sind Einkaufswagen so groß wie deutsche Kleinwagen, den Einkaufswagen konnte man vor lauter Plastiktüten kaum noch sehen. Es gab einen kurzen und heftigen Vortrag meinerseits über Umwelt, Kunststoff und Energieverbrauch. Und seinerseits verständnislose Blicke. Die Frau schaute peinlich berührt auf den Boden, die Töchter verstanden noch kein Englisch, schauten aber aus Solidarität mit ihrer Mutter auch peinlich berührt auf den Boden. Der Kassierer und Tütenpacker in Personalunion hatte einen solchen Vortrag
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