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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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war ein wunderbar erratischer Auftritt von Herrn Klein, besser als das Spiel, und die Töchter erinnern sich immer noch mit viel Freude daran.
    Hin und wieder begab sich der Mann des Hauses, an sich ein großer Freund des Profisports, ins Yankee-Stadion zum Baseball oder ins Giants-Stadion zum Football und mühte sich nach bestem Wissen und Gewissen, Baseball und Football irgendetwas abzugewinnen, aber es half leider alles nichts. Es half auch nicht, dass mir mein Sitznachbar bei einem Football-Spiel der New York Jets erzählte, dass wir in der Halbzeit zum Aufgang D gehen sollten, weil dort junge Amerikanerinnen unter großem Jubel der vornehmlich männlichen Zuschauerschaft rituell ihre Oberteile für Sekunden liften würden. Und zwar sommers wie winters. Ich blieb sitzen in der Pause.
    Wahrscheinlich offenbaren sich im Sport die größten kulturellen Unterschiede zwischen Amerika und Europa. Das eigentliche Sportereignis, lernt man zügig, ist nichts im Vergleich zum Davor, zum sogenannten Tailgating auf dem Parkplatz, wo wildfremde Menschen ihre Wagen nebeneinander parken und Campingstühle aufstellen und portable Grills und ein Happening veranstalten. Denn Sport in Amerika ist Familiensache, außerhalb wie innerhalb des Stadions, und Ausschreitungen sind unbekannt hier, falls nicht Don Zimmer in Boston prügelt. Das Beste an Football und Baseball ist, dass man während eines Spiels problemlos zur Toilette oder zur Bierbude gehen und sicher sein kann, nicht viel verpasst zu haben. Aus diesem Grund vermutlich stehen amerikanische Sportbeobachter permanent auf und gehen zum Klo oder zur Bier- oder Hotdog-Bude; eine Betätigung, für die man beim europäischen Fußball die Halbzeitpause erfunden hat, weil man beim Fußball wirklich etwas verpassen könnte. Ich möchte wetten, dass sich amerikanische Zuschauer während eines Baseballspiels mehr bewegen als die dicken Männer, denen sie zuschauen. Bewegung ist ja eine prima Sache, soll gesund sein und ist per se die ganze Idee von Sport. In dieser Hinsicht haben amerikanische Zuschauer den Europäern definitiv etwas voraus.
    Auch die Frau beschloss irgendwann, sich mehr zu bewegen und gesünder zu leben. Sie begann zu tanzen, und Tänzerinnen werden ja immer gebraucht.
    Das heißt: Sie infizierte den Rest der Familie mit einem Tanzvirus. Die Töchter lernten tanzen und mochten es, und die Frau überredete sogar den Mann, Tanzstunden zu nehmen, »du lebst zu ungesund und bewegst dich viel zu wenig«. Ich kann nicht behaupten, dass ich Tanzen für eine besonders sinnvolle Tätigkeit gehalten hätte. Mit Tanzen assoziierte ich stets grauenhaft toupierte Blondinen und sonnenstudio-gebräunte Männer, die wie Flugbegleiter oder Springer-Chefredakteure ausschauten. Aber es war nun der erklärte Wunsch der Frau, und was tut man sich nicht an aus lauter Liebe. Also nahm ich Tanzstunden bei einer außerordentlich hübschen Puerto Ricanerin namens Jennifer, die sich mit mir sehr viel Mühe gab, aber schnell einsehen musste, dass sie eher einem Waffeleisen Walzer würde beibringen können. Auch ich gab mir alle Mühe, schon wegen der hübschen Puerto Ricanerin, musste aber alsbald einsehen, dass ich für diese Art sportlicher Betätigung einfach nicht geschaffen war. Meine Verrenkungen erinnerten bestenfalls an Regentänze der Hopi-Indianer, nur nicht so elegant. Das Unternehmen Tanz endete einigermaßen kläglich nach sechs Stunden. Wohingegen die Frau zügig Fortschritte machte und an Wettbewerben teilnahm, von denen sie mit potthässlichen Pokalen und Plaketten heimkehrte, welche sie schon aus ästhetischen Gründen in einem Wandschrank versteckte. Zuweilen ging ich aus Solidarität mit zu diesen Wettbewerben, sah dort viele toupierte Blondinen und Flugbegleiter und traf andere Männer, die aus Solidarität ihre Frauen begleiteten. Nach circa einer Stunde solidarischen Solidaritäts-Zuschauens gingen wir Männer an die Bar und schauten American Football im Fernsehen.
    Ich bin grundsätzlich eher gebaut für Fernsehsport und dort besonders empfänglich für Fußball, den europäischen natürlich. Nun leben wir in einer Fußball-Diaspora, umgeben von Ignoranten, die mit europäischem Fußball zahnlose englische Hooligans verbinden, die volltrunken und marodierend durch europäische Einkaufsstraßen ziehen. Das ist natürlich richtig. Und doch nur ein Teil der Wahrheit. Wir sind im Laufe der Jahre zu Sendboten geworden. Wir erklären unseren amerikanischen Freunden unentwegt,

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