Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Spielen mit 3:4, und siebenmal saßen wir abends vor dem Fernseher und waren fast ein bisschen traurig, als alles vorüber war. Die Frau sagte: »Dann eben im nächsten Jahr«, und ich versprach den Töchtern, sie in der darauffolgenden Saison mitzunehmen ins Yankee-Stadion. Aber das Interesse der Töchter erlosch zügig, und auch unsere Leidenschaft für dicke Männer in Schlafanzügen schlief wieder ein.
Die Yankees erreichten während unserer Zeit in Amerika nie wieder die »World Series«, verfolgten uns aber irgendwie doch. Ihr Trainer, Joe Torre, wohnte in unserer Nachbarstadt, und zuweilen begegnete man ihm im Zug, was stets einen kleinen Menschenauflauf verursachte. Bis er gefeuert wurde. Und einmal murmelte eine Frau im Supermarkt Richtung Frau des Hauses: »Dort hinten bei den Gurken steht die Frau von Don Zimmer«, worauf die Frau »Wer ist denn Don Zimmer?« sagte und dann in ein entgeistertes Gesicht blickte. Jedes Kind in Amerika kannte Don Zimmer, bis auf unsere Töchter. Don Zimmer war der glatz- und kugelköpfige Co-Trainer der Yankees, und er brachte wenigstens einmal Abwechslung ins Spiel, als er in Boston, natürlich in Boston, eine zünftige Prügelei vom Zaun brach und der Veranstaltung damit so etwas wie sportlichen Charakter verlieh. Die dicken Männer in den Schlafanzügen balgten sich, mittendrin Don Zimmer, der erst austeilte, dann einen ordentlichen rechten Haken abbekam und sich später vor laufenden Kameras entschuldigen musste.
Nun muss man Don Zimmer nicht unbedingt kennen als Nicht-Amerikaner, aber die Frau neigt qua ihrer Sozialisation dazu, amerikanischen Sport nicht richtig ernst zu nehmen oder zu vergleichen mit englischem. Zum Beispiel American Football und Rugby. Wogegen auch nichts einzuwenden wäre. Es kommt nur darauf an, wann, wo und in welcher Gesellschaft. John, der Gatte unserer geschätzten Friseuse Rita, war früher Quarterback der Tampa Bay Buccaneers. Er ist ziemlich groß, ziemlich kräftig, und mit seinem Händedruck könnte er Walnüsse knacken, wenn er nur wollte. Er könnte auch Hände zerdrücken, wenn er nur wollte. Wir saßen bei John im Garten und sprachen über Sport hüben wie drüben. John trug es gelassen, dass die Frau todesmutig American Football als »Rugby for wimps«, Rugby für Feiglinge, abqualifizierte, was zweifellos stimmt, weil die dicken Männer auch noch dicke Schutzpanzer tragen, wohingegen die Rugbyspieler nicht mal ihre Weichteile schützen. Überhaupt, wollte sie wissen, warum Fußball hier nicht »Football«, sondern soccer heißt und American Football nicht American Eggball, weil die fülligen Männer ja gar nicht mit einem Ball hantieren, sondern bestenfalls mit einem Kunststoff-Ei und dieses auch noch werfen. John referierte daraufhin freundlich, aber bestimmt, dass American Football gewissermaßen die amerikanische Seele reflektiere, weil, nicht wahr, es um Landgewinn gehe wie damals bei der Eroberung des Westens. Die Frau verkniff sich glücklicherweise einen Exkurs über die Eroberung des Westens und gemeuchelte Indianer, obschon es sie fraglos reizte. Ich bewunderte sowohl den missionarischen Eifer der Frau wie auch den Johns. Im missionarischen Eifer stand es 1:1, aber weil es in Amerika keine Unentschieden gibt, »winner takes all«, setzte sie in der Verlängerung noch einen drauf und sprach: »Euer Superbowl ist im Vergleich mit unserer Fußball-WM eine Lachnummer, und es sollte euch zu denken geben, dass sich jenseits der USA kein vernünftiger Mensch dafür interessiert.« Das war leicht übertrieben und dennoch ein Wirkungstreffer. John schwieg, und ich brachte das Thema flugs auf George W. Bush, den kleinsten gemeinsamen Nenner, und schon waren wir alle wieder einer Meinung, und es wurde noch ein schöner Nachmittag.
Das Wesen des nordamerikanischen Profisports blieb uns weitgehend fremd. Die bereits erwähnte Hymnen-Phobie erleichterte den Genuss von Sportveranstaltungen auch nicht eben. Immerhin wurde unsere Kleinfamilie aber Zeuge eines denkwürdigen Abends im Madison Square Garden. Die Basketball-Mannschaft der New York Knicks spielte gegen die Toronto Raptors, und plötzlich stürmte der Modeschöpfer Calvin Klein aufs Spielfeld, stoppte vor dem verdutzten Basketballstar Latrell Sprewell, als der gerade zu einem Wurf ansetzte, und verwickelte den Spieler in ein kurzes Gespräch. Hernach wurde der gute Calvin von Sicherheitsleuten abgeführt und nuckelte auf seinem Sitzplatz wieder brav an einem Kaltgetränk. Das
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