Stars & Stripes und Streifenhörnchen
weiterer Telekom-Mensch, der sehr wohl in unserem Haus die Leitung fand und endlich aufschaltete; mit der Konsequenz allerdings, dass unsere Nachbarn nicht mehr telefonieren konnten. Das war mir peinlich, und ich begann auf »Alice« zu fluchen, auf Englisch und auf Deutsch, Erotik hin, Erotik her.
Während ich mich mit den Hightech-Tücken des teutonischen Alltags mühte, plante die Frau in New York den Umzug bemerkenswert pannenfrei. Sie brachte sogar den Haus-Hasen Rudi zum Flughafen, der als Luftfracht und Vorhut zwei nach Deutschland flog. An einem kühlen Freitagmorgen landete er mit dem Continental-Flug 74 in Hamburg. Das Tier musste durch den Zoll, und also wartete ich an einem Schalter auf den Käfig und machte Bekanntschaft mit deutschem Beamtenhumor. »Ein Hase?«, fragte der Zöllner erstaunt. Er habe ja schon viel erlebt, aber einen fliegenden Hasen noch nie. Er beugte sich vor und fragte: »Warum haben Sie denn nicht…?«, und er imitierte mit der Handkante die Kehlenschnittbewegung. Aus dem Hintergrund rief einer seiner Kollegen: »Hase? Das kann noch dauern, mindestens eine Stunde. Der Rotkohl ist noch nicht fertig.«
Für Zöllner war das ein einigermaßen gelungener Scherz, speziell verglichen mit Amerika, wo Beamte nie lachen: 2:1. Eine Stunde später war Rudi Rabbit durch den Zoll. Er sah ziemlich verstört aus, Jetlag vermutlich.
Wenige Tage und diverse Abschiedspartys später flogen Frau und Töchter. Die drei hatten das Möbelpacken und Kisten-in-Container-Schleppen fabelhaft und unfallfrei gemeistert. Trotz oder vielleicht wegen meiner Abwesenheit am Umzugstag in Amerika. Egal. Sie kamen unglücklicherweise Anfang Februar in Deutschland an, jener Zeit, da in Hamburg der Übergang von frühem Morgen zu frühem Abend so fließend wie der Regen ist, wohingegen in New York um diese Jahreszeit … aber lassen wir das: 2:2. Die Töchter waren immer noch im »state of denial«, und als ich nach ein paar Tagen einmal zaghaft anregte, vielleicht in eine der nächsten Trauerphasen »Hoffnung« oder sogar »Akzeptanz« zu schlüpfen, erwiderte die Ältere: »Meine Seele ist noch im Container, und der Container ist noch auf dem Atlantik. Klar?«
Alle unsere Seelen waren noch im Container. Klarer Fall von »state of denial« meinerseits.
Wir wohnten, bis unser altes Haus zu Ende renoviert war, beim Großvater, wir aßen viel Graubrot und einmal sogar Grünkohl, aber nie Mettbrötchen wegen des Cholesterins. In Amerika war gerade Vorwahlkampf, der spannendste seit Jahrzehnten, und in Deutschland waren Landtagswahlen, verlässlich langweilig seit Jahrzehnten. Wir vermissten Barack Obama und sogar Hillary Clinton: 2:3. Aber immerhin, ein Lichtblick am trüben Hamburger Himmel, freuten sich die Töchter sehr, wann immer sie ein Plakat des Fliege-tragenden Hamburger FDP-Politikers Hinnerk Fock entdeckten, der sie natürlich an das verbotene f-Wort erinnerte: 3:3. Herr Fock fiel leider bei den Wahlen durch, vermutlich wegen der Fliege.
Wir versuchten, den Kindern den Übergang von der amerikanischen in die deutsche Welt möglichst leicht zu machen. Sie durften beispielsweise mehr Fernsehen als in Amerika, aber das war eher kontraproduktiv. Denn zu unser aller Erschüttern mussten wir feststellen, dass das Niveau des deutschen Bildungsfernsehens seit dem letzten Besuch nochmals gesunken war, was kaum möglich schien: 3:4. Ich rief bestürzt einen Familienrat ein und sprach: »Wir brauchen eine Satellitenschüssel mit möglichst vielen englischen Kanälen, sonst drehen wir hier kollektiv durch.« Das wurde an diesem Abend einstimmig beschlossen.
Wenige Wochen später kam der Container an mit unseren Klamotten und unseren Seelen drin. Fünf gleichermaßen kräftige wie kompetente Möbelpacker trugen Kisten, schraubten, sägten, und alle fünf konnten – verglichen mit amerikanischen Möbelpackern – fließend IKEA: 4:4. Seitdem wohnen wir wieder in unserem kleinen, alten Haus, in dem, vergleichsweise, alles funktioniert. Die Fenster klappern nicht bei Wind und Wetter, die Waschmaschine läuft auch ohne Klempnerbesuche von Dave, das Licht geht an, die Heizung heizt: 5:4. Nachdem ihre Seele eingetroffen war, verließ die ältere Tochter auch den »state of denial« und näherte sich dem nächsten Schritt »Hoffnung«. Die jüngere Tochter sprang noch einen Schritt weiter in die Phase der »Akzeptanz«. Wir schauen kaum deutsches Fernsehen, nur Nachrichten und Fußball. Wir schauen aber wieder, alte
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