StasiPolka (German Edition)
trotzdem.“ Sie hielt Vincents Blick stand. Ich hätte rechtzeitig auf ihn hören sollen, dachte sie, ein Fehler, die Spannungen zwischen ihm und Gene für Eifersüchtelei zu halten. Sie schaute sich um und winkte einem untersetzten Grauhaarigen zu, der an einem Tisch nahe der Eingangstür saß. Der Mann hob kurz die Hand.
„Das ist Matthew Boyle, er wird Gene ersetzen. Auch für mich ist nach Genes Tod etwas Umsicht geboten. Sie sind fein heraus, Ihnen vertraut jeder bei OVID. Zum Glück haben Sie genug eigenes Geld.“
Das sollte scherzhaft gemeint sein, aber sie spürte, dass es für Vincent nicht so klang. Er durchschaut mich, weiß, dass ich durch Genes Eskapaden nicht selbst unter Druck geraten bin. Die Affäre hatte sich weit entfernt von OVID abgespielt. Menschliches Versagen, stillschweigend bereinigt, schnell vergessen.
„Mir scheint, Sie und Feodor haben die gleichen Gründe für Ihr Unbehagen – in beiden Fällen wurde aus dem Prinz wieder ein Frosch.“ Vincent verzog den Mund, aber sein Blick blieb hart.
„Da könnten Sie R echt haben.“ Sie wollte nach dem silbernen Kännchen greifen, doch Vincent kam ihr zuvor und goss Kaffee nach.
Patricia machte sich keine Illusionen, was diesen schweigsamen Mann mit den guten Manieren betraf. Bei aller Sympathie gab es Grenzen. In den letzten Jahren hatte Vincent jeden Job punktgenau für OVID erledigt. Jetzt war er unversehens in einen Fall gestolpert, der nicht nur sein Privatleben auf den Kopf stellte, sondern ihn zu allem Überfluss in einen tödlichen Streit mit einem ihrer engsten Mitarbeiter trieb.
Sie stellte sich lieber nicht vor, wie weit Vincent gegangen wäre, hätte sie Gene weiter gewähren lassen. Andererseits zweifelte sie keine Sekunde an seiner Loyalität, auch wenn er zuletzt einige Schwerkriminelle als Helfer hervor gezaubert hatte.
Er kommt von unten, wie ich, ist aus dem gleichen Hartholz geschnitzt, dachte sie. Ke iner hatte damals einen Cent für sie gegeben, ein blondes Landei aus Kansas, das in einer Washingtoner Anwaltskanzlei Tag und Nacht durcharbeitete. Bis plötzlich der grauhaarige Märchenprinz kam, die ehrgeizige junge Frau auf sein Schloss holte und ihr zeigte, wie man mit Geld die Welt regiert. Sie war ihm eine gute Ehefrau gewesen, hatte schnell gelernt und OVID übernommen, als er dreißig Jahre später starb.
„Da kommt meine Tochter“, sagte Vincent in ihre Gedanken hinein. Patricia drehte sich um und sah eine junge Schönheit, die bereits die Empfangsdame beiseite g eschoben hatte und auf ihren Tisch zu eilte, einen schmalen Brillenträger im Schlepptau. Das Mädchen war für den Laden zu leger gekleidet, Jeans, Baumwollhemd, große Schultertasche, aber die Blicke der Gäste galten wohl eher ihrer gutgelaunten Anmut.
„Ich heiße Rea.“ Sie gab Patricia die Hand und küsste Vincent auf die Wange, ein Kellner schob Stühle für sie und ihren Begleiter zurecht, der sich als Nigel Mills vorstellte.
„Haben Sie Hunger“, fragte Patricia. Der Kellner wartete schon.
„Durst“, sagte Nigel und wies auf die Weinflasche. Rea bestellte Wasser und e inen Salat.
Patricia knipste automatisch ihren Charme an. „Rea, meine Liebe, Vincent ist ein wortkarger Vater, er hat bisher kaum etwas von Ihnen erzählt.“
„Er will seine Tochter ganz für sich.“ Nigel spielte mit.
„Meine Schuld. Ich konnte nicht los lassen, hab ihm keinen Freiraum gegeben.“ Das Mädchen lächelte Patricia an. Sie nahm Vincents Hand und hielt sie fest. Patricia sah die Fältchen in Vincents Augenwinkeln, er war sichtlich bemüht, nicht zu grinsen. Wahrscheinlich denkt er, für mich sei es eine kuriose Erfahrung, einen meiner Agenten Händchen halten zu sehen.
Sie blieb am Ball. „Vincent sprach von Ihren Studienplänen. Welche Fächer werden Sie belegen?“
Rea gab Vincents Hand frei. „Internationales Recht.“
„Ein weites Feld“, sagte Patricia, „ ich bin übrigens auch Juristin. Gegenüber Vincent habe ich schon angedeutet, dass ein Cousin sich in Yale recht gut auskennt. Haben Sie schon über ein Studium in den Staaten nachgedacht? Gute Gründe sprächen dafür, speziell bei diesem Fach. Warum begleiten Sie Vincent nicht, wenn er mich demnächst in Washington besucht? Ich würde mich freuen.“
Das reicht fürs erste dachte Patricia, als sie Reas verblüfften Blick wahrnahm. Sie drehte sich um und winkte Boyle zu, der dem Kellner ein Zeichen gab.
„Bitte seien Sie meine Gäste“, sie nickte den dreien zu und griff
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