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StasiPolka (German Edition)

StasiPolka (German Edition)

Titel: StasiPolka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Pesch
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ab.
    „Hier irgendwo muss es sein.“ Sie zeigte auf das Handschuhfach. „Geben Sie mir mal die Lampe.“
    An den nächsten Kreuzungen tastete sie mit einer Maglite die Straßenschilder ab. Merkwürdige Namen tauchten kurz ins Licht. Die Straßen wurden enger, rechts und links dichte Hecken. Dann hielt Helen vor einer kiesbestreuten Einfahrt, wei ter hinten ein großes Haus, warmes Licht schimmerte aus den Erkerfenstern im Erdgeschoss.
    „Das ist es.“ Sie wirkte zufrieden.
    „Wollen Sie noch mit hinein kommen?“
    „Nein. Passen Sie gut auf sich auf.“
    Diesmal steckte Vincent zwei Riesen in ihr Handschuhfach. Als sie protestieren wollte, schlug er vor, sie solle davon ihre Strafzettel bezahlen. Er stand da und sah zu, wie sie eine  hundertachtzig Grad Wende auf den Asphalt legte, dann war sie weg.
    Er wollte gerade nach seinem Gepäck greifen, als sich zwei Arme um seinen Hals le gten. Er roch duftendes Haar und spürte den schmalen Mädchenkörper.
    „Oh Vincent“, Rea schluchzte schon wieder, „endlich bist du da.“
    Er drückte sie an sich, unsicher, wie er beginnen sollte. Das Eis war dünn, seine wirklichen Probleme fingen gerade erst an.

20
     
    Über Reas Schulter sah er eine Frau näher kommen. Zwei schweigsame Hunde neben ihr, straff und wach, als hetzten sie täglich über die Felder. Rea drehte sich in seinen Armen herum, hielt ihn aber weiter fest umklammert.
    „Da kommt Juliane.“
    „Hallo.“ Sie war groß und schlank, oder, besser gesagt, groß und dürr, eigen tlich zu dürr. Halblanges dunkles Haar, rechts gescheitelt und glatt hinter die Ohren zurück gekämmt. Schmale Jeans und ein heller Pullover, der selbst bei diesem Restlicht teuer aussah. Als sie ihm die Hand gab, sah Vincent, dass ihr Gesicht deutliche Spuren zu vieler verqualmter, alkoholsatter Diskussionsnächte trug. „Wir haben Sie früher erwartet.“
    „Alles meine Schuld. Ich musste zwischendurch den Fahrer wechseln.“
    Rea griff nach seiner Tasche. „Gehen wir doch erst mal hinein. Da warten noch mehr Leute auf dich. Aber dann musst du mir sofort alles von Mama erzählen.“
    Sie schritten den Weg entlang, links und rechts sauber geschnittenes Niedrigg ehölz und Rhododendren. Rea hatte sich bei ihm eingehängt; er nahm ihr die Reisetasche aus der Hand aber sie ließ ihn nicht von ihrer Seite. Zur Linken sah er eine größere Rasenfläche, in der Mitte ein quadratischer Teich. Sie gingen auf ein gepflegtes viktorianisches Haus zu, das seinen Stil trotz einiger Anbauten einigermaßen bewahrt hatte. In der geräumigen Eingangshalle mit ihrer mahagonifarbenen Täfelung und den alten Stichen an den Wänden wurde es dann lupenreines merry old England.
    Vincent blieb stehen und setzte seine Tasche ab. Wer auch immer im Haus wa rtete, er musste zuerst mit Rea über ihre Mutter sprechen, bevor er weiteren Fremden die Hand schüttelte und die Eiswürfel im Begrüßungsdrink klirren ließ. Sollten sie ihn seinetwegen für ungehobelt halten.
    „Ich denke, wir müssen vorher noch etwas allein zwischen uns besprechen“, sagte er zu Rea, „was hältst du davon, wenn wir wieder nach draußen gehen.“
    Juliane wies auf eine Tür. „Hier seid ihr ungestört.“
    Er beachtete sie nicht. „Gehen wir.“
    Sie gingen über den Rasen auf den Teich zu. Rea ahnte es bereits. „Was ist mit Mama, Vincent?“
    „Sie ist heute morgen gestorben.“ Er nahm sie in die Arme. „Die Ärzte haben a lles versucht.“ Was für ein idiotischer Satz.
    Rea weinte lautlos. Er hielt sie fest. Sie standen da, wie ein Liebespaar, umhüllt von Stille.
    Nach Ewigkeiten löste sie sich aus seinem Arm und rieb sich die Augen. „Ich habe heute schon so viel geweint. Es ist einfach ungerecht. Mama war so gut. Aber bei unserem Abschied in Frankreich kamen ihr plötzlich die Tränen, als wüsste sie schon, dass irgendwas Schlimmes passiert.“ Sie begann zu schluchzen. Vincent wurde übel.
    Sie setzten sich auf eine Steinbank am Rande des Teichs. Vor ihnen schimme rten Seerosen im schwarzen Wasser. Sie nahm seine Hand. „Erzähle mir alles.“
    Er beschrieb ihr den Druck, unter den Katja aus heiterem Himmel gesetzt wo rden war, erzählte ihr vom Aufenthalt in Berlin, seiner Fahrt nach Polen und der Suche in Wien, schilderte ihr Katjas Entsetzen, als sie vom Anschlag auf ihre Tochter erfuhr, und kam schließlich zur Schießerei im Jägerweg. „Sie war einen Moment kopflos und ist direkt ins Feuer gerannt, bevor ich reagieren konnte“, sagte Vincent.

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