StasiPolka (German Edition)
Es hörte sich genau so lahm an, wie am Nachmittag bei Nigel.
„Hat sie noch etwas gesagt?“
„Ich soll mich um dich kümmern, damit dir nichts passiert“, log er.
Sie drückte seine Hand fester. Die Haustür öffnete sich. Julianes Silhouette e rschien vor dem hellen Hintergrund der Eingangshalle.
„Wo ist Mama jetzt?“ fragte Rea.
„Noch in Baden. Ich habe mit Eurer Haushälterin gesprochen. Sie ist bereits in Wien und regelt alles mit den Behörden. Ich fand es besser, sofort hierher zu dir zu fahren. Wir rufen Margriet morgen früh an und sehen weiter.“
„Schafft sie das denn?“
„Sieht ganz danach aus. Ich vertraue ihr.“
Juliane wartete immer noch in der Tür. Die Frau ging Vincent bereits jetzt auf den Geist, aber man konnte nicht leugnen, dass sie Rea bestens beschützte.
„Ich glaube, wir gehen jetzt besser ins Haus“, sagte er und stand auf. „Wir haben noch genug Zeit für uns.“
Rea hielt weiter seine Hand und ging mit gesenktem Kopf neben ihm her. Juli ane schaute ihn fragend an. Vincent schüttelte den Kopf. Dann sah sie in Reas verweintes Gesicht und brauchte keine weiteren Auskünfte mehr. Wieder Umarmungen, wieder Tränen. So oft schon erlebt, aber diesmal selbst verwundet. Vincent spürte plötzlich die Müdigkeit wie Blei in seinen Gliedern.
„Vincent, du musst ja völlig fertig sein.“ Das war wieder Rea. „Komm, ich zeige dir das Badezimmer.“
Er warf sich einige Hände kaltes Wasser ins Gesicht und wusch den Dreck der letzten Stunden ab. Im Spiegel sah er einen Greis mit dicken Ringen unter trüben Augen. Rea wartete vor der Badezimmertür und begleitete ihn in einen großen Wohnraum. Ein älterer Mann erhob sich aus seinem Sessel und gab ihm die Hand.
„George Montmort, für Sie nur George. Freut mich, Sie zu sehen.“
„Vincent Cruz. Ganz meinerseits.“
Montmort trug bequeme Cordhosen, ein kariertes Hemd mit angeknöpften Kr agenspitzen, ein seidenes Halstuch und eine Weste aus dunkelbraunem Kaschmir. Seine Schädeldecke war fast kahl; im Gegensatz dazu ließ er das graue Haar an den Seiten und im Nacken offenbar einfach wachsen.
„Möchten Sie einen Drink, Vincent? Im Grunde ist es unverzeihlich, dass wir mit dem Essen nicht auf Sie gewartet haben.“
„Keineswegs, George. Ich bin untröstlich, mich so verspätet zu haben.“
Juliane griff ein, bevor sie sich mit dieser angelsächsischen Phrasendrescherei vollends zu Idioten machten.
„Vater, ich habe schon einen kleinen Imbiss vorbereiten lassen.“ Sie ging zu einem hochrädrigen Barwagen. „Was wollen Sie trinken?“
„Bitte nur ein Soda.“
Vincent setzte sich neben Rea und schaute sich um. Jedes Möbelstück in diesem Raum ein Juwel, das mit zunehmendem Alter immer schöner wurde. Alte Bilder an den Wänden, deren Wert er nicht beurteilen konnte, ein Kamin, der sicher von einem der Großen stammte.
„Rea ist wirklich ein liebenswertes Mädchen.“ George hatte ein Gespür für die richtigen Themen. Juliane verdrehte die Augen, als sie Vincent das Glas reichte.
„Sie haben ein sehr schönes Heim, George“, gab Vincent zum Besten.
„Claire, meine verstorbene Frau, hat einiges wirklich nett herrichten lassen“, sagte George bescheiden.
Wie aus dem Nichts erschien ein Hausmädchen und stellte ein Tischchen mit einer kleinen Auswahl kalter Speisen vor Vincent ab. Fisch, Braten, Roastbeef, Stilton, dazu Saucen, Toast und Butter. Obwohl ihm noch fünf Minuten vorher nicht in den Sinn gekommen wäre, etwas zu essen, hatte er plötzlich Heißhunger.
„Bess.“ Juliane winkte dem Mädchen, das wortlos eine eiskalte Flasche Bier n eben seinen Teller stellte. Vincent griff zu und lauschte kauend den Frauen, die sich mit George über seine nächtliche Unterbringung austauschten. Das Problem bestand offenbar darin, dass etwa sechs verschiedene Schlafzimmer zur Wahl standen.
Rea wirkte jetzt gefasster. Julianes kühle Sicherheit und Georges betuliche Sprechweise lenkten sie ab. Vincent fragte sich, wie sie die Nacht überstehen würde. S icher wäre es gut, wenn Juliane noch einige Stunden an ihrer Seite bliebe. Morgen früh würde Rea viele Fragen stellen. Morgen würde er ihr auch die Neuigkeit über ihren Erzeuger beibringen. Jetzt brauchte er nur noch ein Bett.
Er blickte Juliane an. „Machen Sie sich meinetwegen keine Gedanken. Genau geno mmen habe ich seit gestern früh gerade mal zwei Stunden geschlafen. Ich wäre auch zufrieden, wenn Sie mich in einen alten Teppich rollen und auf
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