StasiPolka (German Edition)
Wohnung.
In der Luft hing ein schwacher Duft, der ihn an Rea erinnerte; Spuren ihrer g emeinsamen Nacht mit den Leibwächtern. Er riss die Fenster auf , holte zwei baumwollene Wäschereisäcke und stopfte schmutzige Kleidung und alles, was gereinigt werden musste, hinein. Fema würde sich darum kümmern. Seine Reisetasche war schnell neu gepackt. Er mixte einen Drink, setzte den Plattenspieler in Betrieb und griff zum Handy.
„Ja?“ Rea war gleich am Apparat.
„Grüße von Margriet. Sie ist wieder in Waterloo“, sagte er. „Wo steckt ihr denn gerade?“ Verdammt, das klang nach unrasiertem Großvater im Bademantel, würde sie denken. Schließlich hatte er sich von ihr und Jelena erst vor wenigen Stunden verabschiedet.
„Wir sitzen im Schatten und essen Salat. Am Strand ist es viel zu heiß.“ Im Hi ntergrund klapperte Geschirr. „Was ist das für ein cooles Lied, das du da hörst?“
„ Jasmine . Ziemlich alter Jazz, genau gesagt von 1954. Ich fliege erst morgen früh. Heute bin ich noch in Brüssel. Grüß Jelena von mir.“
„Halt“, rief sie, „spiel das noch mal. Jelena will mithören.“
„Moment.“ Er legte die Nadel zurück auf den Beginn des Stücks und drehte die Lautstärke hoch. Bud Shanks kühler Alt füllte den Raum, dann übernahm Shorty Rogers mit dem Flügelhorn. Als die melancholische Melodie verklang, räusperte er sich.
„Schön war das“, sagte seine Tochter. „Ich übergebe mal an Jelena.“
„Vincent, wir fahren jetzt in mein Haus oben in den Hügeln. Feodor hat Leute zum Schutz hier bei uns gelassen. Alles ist sicher.“ Sie zögerte. „Rea hat mir von Ihrer Plattensammlung erzählt. Das war gut eben. Sind Sie ein Romantiker?“
„Kubaner“, sagte er, „zumindest für Frauen, die meine Tochter beschützen.“
„Ciao Papa“, rief Rea dazwischen. Er legte auf.
Romantiker! Die Frau hatte Nerven. Aber vielleicht traf sie auch ins Schwarze. Bevor Katja wieder in sein Leben trat, war seine einzige Liebesbeziehung die zu seiner Schallplatte nsammlung gewesen. Na ja, vielleicht noch die zu seinem Segelboot. In den achtzehn Jahren seit seiner Ankunft im Westen hatte er alle Platten gekauft, die ihm gefielen. Später wechselte er zu CDs, als die dunklen Scheiben aus den Musikabteilungen verschwanden. Das Einkaufen der kleinen Dinger machte allerdings deutlich weniger Spaß.
Nicht, dass er heute ein Experte wäre. Dazu fehlte ihm zu viel, als er jung war. Aber Musik ging ihm nahe, holte ihn aus Stimmungslöchern und glättete sein Gemüt, wenn ihm die Arbeit an den Zielpersonen den Nerv tötete. Diese drei Meter kunterbu nter Kartons da vor ihm im Sideboard waren quasi seine Kinder. Er hätte sie für nichts in der Welt aufgegeben, bis Rea kam. Vor einiger Zeit hatte ihm ein alter Bekannter erzählt, wie er nach seiner Scheidung seine Plattensammlung aufteilen musste. Katastrophe. Fast ein Grund, bei einer ungeliebten Frau zu bleiben.
Bud Shank war verstummt. Vincent wechselte zu Clapton, Budokan 79, und mixte noch einen Drink. Schade, dass er als Kind nie ein Instrument besaß, nie gelernt hatte, Musik zu m achen. Aber gut, er besaß auch nie einen Hund, er kannte ja nicht mal seinen Vater. Als Kind hatte er Tagträumen nachgehangen, in denen dieser fremde Mann plötzlich als strahlender Held aus der Kulisse trat und ihn an seine Hand nahm. Schöne Träume. Dieser Clapton. Sein Solo in Double Trouble ist ein Kick fürs Gemüt. Gab es was Besseres, als nachts mit 200 Sachen in einem großen Auto über die leere Autobahn zu rauschen, und sich dieses Stück rein zu ziehen? Sex wird meistens überschätzt.
Wo ich schon dabei bin, dachte er, Klavier ist mir manchmal noch lieber, als G itarre. Errol Garner zum Beispiel, Oscar Peterson oder Paul Smith, wenn er Ella begleitet. Ich glaube, man hört es, wenn ein Klavierspieler auf die Sängerin abfährt. Jazzpianisten mochte Vincent fast immer, egal, was sie sich einfallen ließen. Damals in New York dieser dicke Kerl in der Bar auf der 52ten zum Beispiel, dem er einen Drink schickte, damit er Laura für ihn spielte. Er tat, als nähme er Vincent nicht wahr, unterhielt sich weiter mit einem anderen Thekengast, stieg aber gleichzeitig durch komplizierteste Harmonien bis er bei Laura angekommen war, und strahlte Vincent am Ende mit seinem Pfannkuchengesicht an. Was für ein herrliches Leben, wenn du Pianist bist. Du spielst mit Gefühlen anderer.
Er spürte langsam die Drinks und ging hinüber zur Ka ffeemaschine.
Doktor
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