STASIRATTE
Arbeitstag im Spreehotel im Herbst des Jahres 1979 betrat ich aufgeregt den Personaleingang. Ein Pförtner saß hinter einer Glaswand und vor mir befand sich ein Drehkreuz in Verbindung mit einem Gerät für die Zeiterfassung. Da ich noch nicht im Besitz der zum Eintritt berechtigenden Chipkarte war, wurde mir vom freundlichen Mann hinter der Glasscheibe geöffnet. Er erkundigte sich nach meinem Namen, um dann kurz zu telefonieren.
Kurz darauf stand er vor mir. Gut gelaunt mit einem offenen Lächeln stellte er sich vor und nahm mit seinem flapsigen „Willkommen im Edelbunker“ ein bisschen von meiner Aufregung fort. Ich sah ihn mir an. Etwa so alt wie ich, aber ein paar Zentimeter größer, steckte er in einem dunkelbraunen Anzug mit beigefarbenem Hemd. „Die Dienstkleidung?“, begann ich ein Gespräch. „Ja“, antwortete er und nickte dabei. „Du bekommst auch gleich was in der Art“, meinte er grinsend. Auf meinen fragenden Blick hin erklärte mir Gerry, dass er derjenige sein würde, der mir das große Haus erst einmal zeigen und mir helfen würde, mich zurechtzufinden. Nicht schlecht, dachte ich, mit dem Typen kann man es aushalten. Und während wir unseren Rundgang begannen, betrachtete ich ihn genauer. Er war nicht hübsch im eigentlichen Sinne, hatte aber etwas ungemein Gewinnendes im Blick und in der Körpersprache. Seine leicht welligen Haare fielen keck auf die Stirn. Um die Nase herum gaben Sommersprossen dem Gesicht etwas Heiteres.
* * *
Zuerst gingen wir in den Verwaltungstrakt, wo ich im Büro der Gastronomischen Leitung einige Formalien erledigen musste. Dann ging es in den Keller. Verwirrend viele Gänge und Abzweigungen gab es dort unten. „Das wird wohl ewig dauern, bis ich mich hier zurechtfinde“, äußerte ich meine Bedenken. Aber Gerry schüttelte den Kopf. „Ach was, du musstja fast jeden Tag hierher, irgendetwas holen oder organisieren, da merkst du dir schon die Wege.“ Ich nickte und glaubte ihm nicht, denn ich kannte meinen Orientierungssinn.
In der Tat gab es neben der Zentralküche, die für uns Nichtköche tabu war, einiges, was man öfter brauchen würde. Zunächst einmal die Kleiderkammer, die wir nun anliefen, um mich mit einer passenden Dienstkleidung auszustatten. Im Bankettsaal, wo ich meinen Arbeitsplatz haben würde, trug man einen dunkelbraunen Rock mit einer hellbraunen Weste und einer beige-braun gestreiften Bluse. Dazu gab es noch eine Krawatte, die zur Identitätsstiftung das gestickte Logo des Hauses trug. Als Schuhwerk waren Korksandalen in Braun oder Schwarz empfohlen. Damit stand fest, dass ich die nächsten freien Tage mit der Suche nach solchen Schuhen verbringen würde.
Der Hotelkeller schien mir wie der Bauch eines riesigen Schiffes. Eine wichtige Station für uns Kellner war die Wäschekammer. Täglich wurden dort Wagenladungen verschmutzter Tischwäsche und Servietten, immer in Zehnerbündeln, in Sauberes umgetauscht. Das Haus verfügte über eigene Werkstätten, verschiedene technische Steuer- und Regelungsabteilungen und riesige Lagerräume. Gerry zeigte mir auch das Quartier des Hausgärtners. Es war sehr kühl und roch feucht und angenehm nach Erde und Pflanzen. Gerade gestalteten die Mitarbeiter Blumengestecke für eine große Saalveranstaltung. Wir nickten ihnen im Vorübergehen zu und Gerry erzählte mir so nebenbei, wer ein schwieriger Kollege und wer ein wirklich netter war, wo man „aufpassen“ musste und mit wem man auch mal locker was regeln könnte.
Ich versuchte, mir alles zu merken ‒ Namen, Plätze, Eigenarten, Kellerkreuzungen ‒, als mir ein ekelhafter Geruch in die Nase stieg. „Ja, das gehört auch dazu“, sagte Gerry, dem es offensichtlich Spaß machte, mir den Laden mit allen Glanz- und Schattenseiten zu präsentieren. Was ich sah, war eine großeHalle, die sich ins Freie öffnete. An den Wänden entlang wurden jegliche Sorten von Abfall sortiert: Pappe, Papier, Altglas, gemischter Müll. Ein junger kräftiger Mann in Latzhose und kurzärmeligem Oberteil war hier zugange. Gerry begrüßte ihn und erklärte ihm die Situation. „Jana fängt heute hier an, ich zeige ihr alles, auch deinen Bereich“, sagte er respektvoll. Gerry beeindruckte mich durch seinen Umgang mit den Kollegen, von denen ihn viele kannten, wie unser Rundgang offenbarte. Seine unaufgesetzte Selbstverständlichkeit, jeden gelten zu lassen, ließ ihn offenbar gut ankommen.
Der junge Mann strahlte dann auch und erklärte mir mit kindlicher Begeisterung
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