STASIRATTE
Zimmertür und abgehetzt kam Hauptmann Gerber herein. Er entschuldigte sich für seineVerspätung, schaute heiter im Zimmer umher und ließ sich auf den anderen Stuhl fallen. Unter den Achseln seines hellblauen kurzärmligen Hemdes hatten sich leichte Schweißflecken gebildet. Er nahm Platz und Frau Kloster erschien noch einmal im Zimmer, um uns zu fragen, ob wir Kaffee haben möchten.
Ich zuckte mit den Schultern und ließ das Micha regeln. Er hatte mit seinem Erscheinen eine unerwartet gelöste Atmosphäre mitgebracht, wie ich es eigentlich nicht erwartet hatte. Sofort dachte ich darüber nach, dass es doch nicht so schwer sein würde, ihn gleich beim Vornamen anzureden. Und mit der Frage, die mich brennend interessierte, platzte ich auch sofort heraus. „Sag mal, was ist das hier eigentlich und was sind das für Leute? Wohnen die richtig hier?“
Micha lächelte und erklärte mir: „Du kannst ja schlecht in die Dienststelle kommen und es geht auch nicht immer in den Hotels. Daher haben sich ein paar Leute von uns bereit erklärt, ihre Wohnungen für diese Treffen zur Verfügung zu stellen. Das ist unauffällig, du könntest doch hier jemanden besuchen wollen. Niemand merkt, warum wir hier sind.“
So weit die Theorie, dachte ich. Es gibt doch immer Nachbarn, die auf alles aufpassen, und was die wohl denken, wenn dieser unauffällig gekleidete Mann hier immer mal wieder aufkreuzt und vorher oder nachher weitere Personen. Da man die Wohnung auf jeden Fall getrennt verließ, sah alles umso unnatürlicher aus und Beobachter könnten leicht die richtigen Schlüsse ziehen und die ganze schöne Tarnung war für die Katz.
Allerdings, was sollten sie mit einem solchen Wissen anfangen? Sie könnten es bestenfalls im Bekanntenkreis herumerzählen, bis einmal der Falsche darauf aufmerksam würde. Dann hätten sie sich in Schwierigkeiten gebracht und die Stasi würde einfach die Wohnung wechseln.
Frau Kloster erschien wieder und servierte uns den Kaffee komplett mit Milchkännchen und Zuckerdose. Mit einem angedeuteten Lächeln verschwand sie wieder.
Micha nahm Schreibmaterial aus seiner Tasche und füllte auf einem Formular einige obere Felder aus. Er schrieb ein paar Abkürzungen, Buchstaben und Zahlen auf das Blatt und sah dann auf.
Meiner Meinung nach konnte dieses Treffen nicht lange dauern, da ich keine Beobachtungen gemacht hatte, die auf Drogengeschäfte hingewiesen hätten. Ich trank einen Schluck Kaffee und sagte laut, was ich gerade überlegte. „Hm“, machte er nur und sah mich nachdenklich an.
Im selben Moment fühlte ich mich unwohl. Es war mir unangenehm, dass wir uns extra in dieser merkwürdigen Wohnung trafen und ich nichts liefern konnte. Also begann ich ein bisschen über die Erlebnisse der letzten Tage in der Bar zu erzählen.
Zurzeit wohnte eine Gruppe ehemaliger KZ-Insassen im Hotel, die anlässlich eines internationalen Treffens zusammenkamen. Es waren alte Menschen, die trotz ihrer furchtbaren Erinnerungen angeregt miteinander plauderten und lachten. Auf ihrer Kleidung trugen sie die Abzeichen der Häftlingskleidung. Bei einigen sah ich Tätowierungen auf den Unterarmen. Das Schicksal dieser Menschen berührte mich umso mehr, wenn ich mich an die sogenannten Jugendstunden zur Vorbereitung auf die Jugendweihe erinnerte. Ich war damals vierzehn Jahre alt und unsere Schulklasse fuhr zur Erweiterung unseres Geschichtsverständnisses in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg. Was ich dort gesehen hatte, hinterließ Entsetzen und Traurigkeit. Es hatte keinen zweiten Besuch gegeben, da der erste sich dauerhaft in mein Gedächtnis gebrannt hatte.
Das Thema wühlte mich auf und ich bemerkte nur allmählich, dass mein Zuhörer gelangweilt wirkte. Ich unterbrach mich und Micha schien aufzuatmen.
Dann schob er mir ohne weitere Einleitung das von ihm vorbereitete Blatt Papier über den Tisch. Es trug die Überschrift „Treffbericht“.
„Wenn dir noch keine Elemente im Zusammenhang mit dem Drogenhandel aufgefallen sind, kümmern wir uns heute um etwas anderes“, begann er. „Es interessiert uns auch, was die Menschen in unserem Land fühlen und denken, ihre Pläne, ihre Zuverlässigkeit ... du verstehst?“ Er nickte mir leutselig zu bei seinen Worten.
Natürlich verstand ich. Die Weltanschauung also. Ein ganz einfaches Thema. Entweder man hatte die marxistisch-leninistische Weltanschauung oder man tat jedenfalls so, dann war alles gut. Und wenn nicht, war man ein Feind des
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