STASIRATTE
Zimmer ja kaum, denn Urlaub ist bei der Fahne ja selten“, fügte ich hinzu.
„Er macht drei Jahre und will dann studieren“, erklärte er mir. Genau, dachte ich, wenn er sich nämlich nicht für drei Jahre Armee und damit für eine Unteroffizierslaufbahn verpflichtet hätte, wären seine Aussichten auf einen Studienplatz gleich null. Ich sprach meine Gedanken nicht aus.
Für junge Männer, die Abitur gemacht hatten und sich dann für ein Studium außerhalb von Theologie interessierten, war es unumgänglich, bei der NVA einen Wehrdienst von drei Jahren zu absolvieren.
Micha öffnete seine Aktenmappe, um mir ein Berichtsformular auf den Tisch zu legen. „Gibt es von deiner Seite Interessantes?“, war seine Frage.
„Es gibt einen der Stammgäste, er ist wohl West-Berliner“, begann ich, „der saß in der letzten Woche mit ein paar anderen am Tisch und fummelte immer mit einer Tablettenschachtel herum.“
„Hm“?, Micha sah mich aufmerksam an.
„Immer wenn ich etwas servierte, nahm er die Schachtel außer Sichtweite und die Diskussion am Tisch verstummte“, erzählte ich weiter.
„Schreib mal auf, bitte“, unterbrach er mich und deutete auf das Blatt Papier.
Ich hatte nichts anderes erwartet und war froh, überhaupt irgendetwas Bemerkenswertes liefern zu können, also nahm ich das Blatt und notierte meine Beobachtungen. Vielleicht, so meine Überlegungen, enthielten diese Tabletten irgendwelche Betäubungsmittel und dieser Mann wollte sie in Umlauf bringen. Gleich redete ich mir ein, dass ich natürlich etwas dagegen unternehmen müsste.
In meinem Bericht hielt ich fest, dass ich nur einige Buchstaben auf der Medikamentenschachtel sehen konnte, der Name fing eventuell mit Mo oder Ma an und endete mit in oder erin. Genauer ging es nicht. Wie der Mann hieß, konnte ich auch nicht sagen. Wenn ich es richtig verstanden hatte, redeten die anderen Gäste ihn mit „Manne“ an.
Als ich fertig war und mir den Text noch mal durchlas, fand ich es doch recht mickrig. Was sollte man damit anfangen? Micha hingegen schien ganz zufrieden und bat mich, bis zum nächsten Mal herauszufinden, wie der Gast genau hieß. Wenn er Stammgast war, konnte das doch so schwer nicht sein? Ich sagte es zu und fand es ein bisschen spannend, eine konkrete Aufgabe zu haben.
Micha nahm den Bogen an sich und verstaute ihn in seiner kunstledernen Aktenmappe. Entspannt kreuzte er die Arme und legte sich mit den Ellbogen leicht auf die Tischplatte.Etwas vorgebeugt sah er mich treuherzig an und fragte: „Wie kommst du eigentlich mit der Katrin aus?“
Mit der Katrin, hörte ich im Innern sein Echo. Wie plump vertraulich. Als handelte es sich um eine gemeinsame Bekannte, über die ich hier schwadronieren sollte. Ich musste mich erneut zusammenreißen, um nach einer akzeptablen Antwort zu suchen.
Katrin und ich waren die einzigen beiden Frauen im Team. Sie war schon vor mir in der Kristallbar gewesen und hatte mir zu Beginn über manche Unsicherheit geholfen. Insgeheim bewunderte ich sie für ihren Lebensstil. Sie war selbstbewusst und hatte das souveräne Auftreten erfolgsgewohnter Menschen. Gern wäre ich wie sie gewesen. Katrin hatte Abitur und stammte aus einem Künstlerhaushalt. Für den Kellnerberuf hatte sie sich wohl eher als Gegenentwurf zum Leben ihrer Familie entschieden. Es ging ihr, wie sie sagte, auch dabei zuerst um das Geld und ihre Unabhängigkeit. Sie war eine attraktive Blondine, die mit einem ebensolchen Geschäftemacher, wie Paul es war, zusammenlebte. Doch schien sie nicht so bedingungslos an ihm zu kleben, wie es in meiner Beziehung der Fall war. Sie ging durchaus ihre eigenen Wege und wirkte in beneidenswerter Weise unbeschwert.
Micha sah mich fragend an, doch ich zuckte nur matt mit den Schultern. Auch diese Situation kannte er sicher schon hundertfach, weshalb er deutlicher nachsetzte: „Schreib einfach mal auf, wie du ihr Leben so einschätzt. Was sie für Hobbys hat, wie die Arbeitseinstellung ist, einfach alles, was dir so aufgefallen ist.“
Aufgefallen ist mir, dass sie die Dinge besser im Griff hat als ich, war mein erster Gedanke. Und ein wenig neidisch war ich eben schon. Und gab es da nicht solche Ärgerlichkeiten wie ihre Unpünktlichkeit bei der Übergabe? Hatte sie mich nicht auch einmal lange warten lassen, weil sie sich nochunbedingt mit einem der Gäste unterhalten musste? Winzige Nebensächlichkeiten spielten sich in meinem Gedächtnis an die Oberfläche. Putzte sie die Bar nach
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