STASIRATTE
ihn sagen.
„Jana“, sagte ich.
Wir lächelten wieder ein bisschen.
„Na dann“, fuhr Micha fort und griff zu einer Flasche Rotkäppchensekt, die in einem Kühler auf ihre Öffnung wartete.
„Oh“, war meine Reaktion, denn erst jetzt nahm ich wahr, dass wohl aus Gründen der Feierlichkeit ein paar Häppchen und etwas zum Anstoßen bereitstanden.
Da saß ich ihm nun gegenüber, dem Micha, dem freundlichen Mann mit der harmlosen Ausstrahlung, meinem Führungsoffizier der Staatssicherheit.
Micha hatte die Flasche geöffnet und uns zwei Gläser eingeschenkt. Wir stießen an, ohne zu sagen, worauf, und ich spülte ruckartig den halben Inhalt meines Glases herunter. Der Alkohol am Vormittag sorgte für ein wenig Entspannung und ich erinnerte mich, wie es zu dieser Verabredung gekommen war.
Einige Tage zuvor erhielt ich in der Kristallbar einen Anruf. Eine Frauenstimme, die sich mit „Vermittlung“ meldete, sagte mir freundlich: „Guten Tag“, und: „Herr Gerber möchte Sie sprechen.“ Zu diesem Zeitpunkt war mein erstes Zusammentreffen mit dem Stasihauptmann bereits einige Wochen hergewesen und wenn ich auch nicht richtig daran glaubte und meinen Entschluss bereits schon gefasst hatte, war ein wenig Hoffnung in mir gewachsen, dass man mich doch wieder vergessen oder als untauglich eingestuft hatte. Dem war also nicht so, stellte ich fest, als Herr Gerber ans Telefon kam und mir kurz Zeit und Ort mitteilte, an dem ich mich einige Tage später einfinden sollte.
Micha unterbrach meine Gedanken und wies mit einer einladenden Handbewegung auf die Canapés. „Bitte“, sagte er. Obwohl ich es schwierig fand, in dieser unnatürlichen Situation etwas zu essen und mein Magen auch eher mit dem Sekt harmonierte, nahm ich brav eines der Häppchen. Micha hatte scheinbar weniger Hemmungen und griff herzhaft zu. So verging die erste halbe Stunde unseres merkwürdigen Zusammenseins.
Ein Glas Sekt später plauderten wir über den Alltag in der Kristallbar. Er hatte eine Art, die mich bereits nach kurzer Zeit unbefangener werden ließ. Es fiel mir gar nicht schwer, ihm wie einem Kumpel Anekdoten meines Arbeitsalltags zu erzählen. Er fragte nach den Gästen und ob ich schon Prominente zu Gesicht bekommen hätte. Ich erzählte von einigen Politikern und Künstlern und taute immer mehr auf dabei.
Dann ging die Rede ins Private. Micha erzählte von seinem Wochenendhaus und von den Schwierigkeiten, Baustoffe zu bekommen. Wir lachten gemeinsam über die kritische Versorgungssituation. Ich plauderte über mein Auto und wie ich es mithilfe eines Bastlers, der nach West-Vorlagen Spoiler baute, nachträglich aufgemotzt hatte. Ich erzählte ihm, dass mein Freund einen Autolackierer kannte, der den Golf kornblumenblau werden ließ.
Es war wohl eine gute halbe Stunde vergangen, als Micha in einer Redepause zu ein paar Bögen Papier griff, die auf einem seitlich neben ihm stehenden Schreibtisch lagen. Er schob diebeinahe leere Canapéplatte und den Sektkühler beiseite und breitete die Bögen auf dem Tisch aus. „Jetzt müssen wir ein bisschen was schreiben, es muss ja alles seine Ordnung haben“, dazu lächelte er jovial und teilte mir ein leeres liniertes Blatt zu.
Von ihm diktiert, schrieb ich eine formelle Verpflichtungserklärung, in der ich niederlegte, zum Wohle des Volkes der DDR aufmerksam und wachsam zu sein und alle von mir gemachten Beobachtungen, die der DDR schaden könnten, meinem Führungsoffizier zu melden usw., usw. Es war diese geschraubte unnatürliche Parteisprache, die ich seit meiner Schulzeit kannte und die immer wieder unseren Alltag streifte. Phrasenhaft und für den gesunden Menschenverstand einfach unglaubwürdig musste nachgeplappert werden, was sich die Parteiführung an kruden Formeln ausgedacht hatte. Leerformeln in immer ganz großen Dimensionen: „Alle Macht dem Volke“, „Von der Sowjetunion lernen, heißt: siegen lernen“, „Vorwärts zum zigsten Parteitag der SED“, „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“.
Der letzte Absatz der Erklärung enthielt die Versicherung, dass ich mit niemandem über diese Verpflichtungserklärung und meine Beziehungen zum Staatssicherheitsdienst sprechen würde, weder heute noch zukünftig.
Als der Text fertig geschrieben war und nur noch meine Unterschrift fehlte, erhielt ich einen Decknamen. Ich lachte ein bisschen verlegen darüber und fragte nach der Notwendigkeit. „Nun, sieh mal“, erklärte Micha, „wenn ich mit den von dir geschriebenen
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