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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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Was soll’s, dachte ich. Schließlich war es im Grunde egal, was ich dahinschrieb. Micha brauchte einen ausgefüllten Bogen Papier für seine Vorgesetzten.
    Entschlossen griff ich zu dem Blatt Papier und nach fünfzehn Minuten war ein neuer Held der Arbeiterklasse geboren.
    Micha lächelte zufrieden, als ich ihm das Blatt zuschob. Zu meiner phrasenreichen und fantasievollen Geschichte von der positiven Einstellung zum sozialistischen Staat, der Einsatzbereitschaft am Arbeitsplatz, dem gesellschaftlichen Engagement und der persönlichen Bescheidenheit passte meine Unterschrift ganz ausgezeichnet: Cornelia Astrid.
    Er war fertig, mein erster Bericht. Ich war erleichtert und ich glaube, Micha war es auch.
    * * *
    Es ist wieder Sommer und mein notorischer Kartensender muss im Urlaub sein, denn ich bekomme auch in diesem Jahr einen vom Monat unabhängigen pauschalen „Sommergruß für meinen Ex-Stasispitzel“. Mike hat die Karte aus dem Briefkasten gefischt und legt sie mir mit leichtem Kopfschütteln auf den Frühstückstisch.
    „Er hat keine Exit-Strategie“, murmelt er dazu und nimmt sich ein Brötchen.
    „Wie meinst du das?“ Ich bin neugierig.
    „Nun“, antwortet Mike, „er weiß eben nicht, wie er aus der Nummer wieder rauskommen soll.“ Ich höre zu.
    „Als er herausbekommen hat, dass du über ihn bei der Stasi berichtet hast, war er natürlich verletzt und wütend. Dann hatte er diesen originell boshaften Einfall mit den Karten und hat sich voller Begeisterung einen Packen davon besorgt und angefangen, sie zu schreiben. Vielleicht ja nicht nur an dich.“
    Ich trinke einen Schluck Tee und ergänze: „Ja, stimmt, in seinem Brief war von sechs Stasiratten die Rede. Und werweiß, vielleicht verschickt er sechs Karten pro Monat. Dann habe ich womöglich noch einige Leidensgenossen.“
    Mike nickt und sieht unschlüssig über den Tisch. „Ja, das macht man ein paar Monate, eventuell ein Jahr. Doch dann ist eigentlich die größte Wut abgebaut und man beruhigt sich ... eigentlich.“
    „So einer ist er dann wohl nicht“, antworte ich resigniert.
    „Weil er eben keine Exit-Strategie hat“, wiederholt Mike.
    „Vielleicht rufe ich ihn an und sage ihm, dass ich alles ganz ehrlich bereue, nur leider nicht mehr rückgängig machen kann“, überlege ich laut, spüre jedoch sofort, wie halbherzig der Gedanke ist. Weil ich nicht sehr an einen Erfolg glaube, möchte ich mich auch nicht zu Worten hinreißen lassen, die nicht mehr zurückgenommen werden können. Wir werden nie wieder Freunde sein und Gerry ist unversöhnlich. Welche Ansprache also sollte ihn überzeugen, Ruhe zu geben?
    Exit-Strategie, das Wort beschäftigt mich weiter. Den Ausstieg, das Ende zu finden, wie hätte das denn für mich ausgesehen, ohne die politische Wende im Land? Würde ich wohl heute noch in miefigen Wohnungen herumsitzen und mir Geschichten ausdenken oder Leute ohne ihr Wissen analysieren? Ist das vielleicht Gerrys Ansatz: mir die Unmöglichkeit eines Ausstiegs und seine Konsequenzen vor Augen zu führen?
    Die restliche Zeit des Frühstücks verbringen wir schweigend. Jeder geht seinen Gedanken nach, die Gerry ausgelöst hat.
    * * *
    Vier Wochen nach dem ersten konspirativen Treffen bekam ich wieder einen Anruf. Paul hatte ich nach meinem ersten Treffen alles genauestens erzählt und mich danach etwas erleichtert gefühlt. Es gab zumindest einen Menschen, dem gegenüber ich meinem Gewissen Luft machen konnte.
    Paul sah die Sache gar nicht so negativ: „Du weißt dadurch zumindest in etwa, was die Brüder so interessiert und was sie vielleicht schon wissen. Wo man besonders aufpassen muss und so.“ Paul machte dazu eine wegwerfende Handbewegung. „Klar, das wird jetzt wohl so weitergehen. Der Gerber wird dich nach allen Kollegen ausfragen. Der muss sich doch auch irgendwie beschäftigen und seinen Job rechtfertigen.“
    So hatte ich es noch nicht gesehen, aber es klang schlüssig.
    Bei unserem nächsten Treffen in der Wohnung der Familie Kloster öffnete mir Micha selbst die Tür. Es war außer ihm niemand da und Micha bewegte sich wie selbstverständlich in den Räumen, als er in der Küche Kaffee kochte. Ich nahm wieder in dem Kinderzimmer Platz und sah mir die Buchrücken in dem Regal an. Als Micha mit dem Kaffee erschien, deutete ich auf ein Buch und sagte: „Licht über weißen Felsen, habe ich auch gelesen.“
    „Die gehören dem Sohn“, antwortete Micha, „der ist jetzt bei der NVA.“
    „Na, dann braucht er das

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