StatusAngst
Hierarchie sei ein unbestechlicher Spiegel menschlicher Qualitäten auf allen Stufen der Leiter und der Weg damit vorgezeichnet, der die Guten zum Erfolg führe und die Schlechten scheitern lasse. Mit solchen Argumenten fiel es dann leicht, Sozialhilfe, soziale Umverteilung oder einfach nur menschliches Mitgefühl für überflüssig zu erklären.
Andrew Carnegie (1835-1919), Großindustrieller, Selfmademan, reichster Mann der Welt.
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Michael Young, Es lebe die Ungleichheit, London 1958: »Heute wissen alle, egal wie arm sie sind, dass sie jede erdenkliche Chance hatten ... Wenn man sie wiederholt als »Dummköpfe« bezeichnet hat, können sie sich nichts mehr vormachen ... Müssen sie dann nicht einsehen, dass sie nicht deshalb einen minderen Status einnehmen, weil ihnen wie früher die Chancen versagt blieben, sondern weil sie wirklich minder wert sind?«
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Auf die Schmach der Armut lud die Leistungsgesellschaft nun noch die Schande.
V. Abhängigkeit
Faktoren der Abhängigkeit
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In der ständisch geprägten Gesellschaft von einst mochte hoher Status außerordentlich schwer zu erringen sein, dafür aber auch erfreulich schwer zu verlieren. Ein Lord blieb ebenso Lord, wie ein Tagelöhner, leider, Tagelöhner. Man huldigte dem Geldadel, nicht dem Verdienstadel. Es zählte, wer man war, selten das, was man tat.
Seither streben moderne Gesellschaften nach der umfassenden Wende mit umgekehrtem Vorzeichen, danach also, Vorzüge oder Nachteile der Geburt völlig abzuschaffen und den sozialen Rang einzig auf den Erfolg zu gründen - worunter man meist den finanziellen Erfolg versteht. Status hängt kaum noch von einer unwandelbaren Identität ab, die über Generationen weitervererbt wird, sondern davon, wie man sich in einer schnellebigen und gnadenlosen Industriegesellschaft bewährt.
Es liegt im Wesen dieser Industriegesellschaft, dass der Kampf um Status vor allem Unsicherheit zeitigt. Wir planen die Zukunft im Wissen, dass wir von Kollegen oder Konkurrenten ausgebootet werden können, wir mögen feststeilen, dass das Talent nicht reicht, um ans gesteckte Ziel unserer Träume zu gelangen, wir können in den Turbulenzen des Marktes untergehen — und alles Scheitern wird noch verschlimmert durch den möglichen Erfolg der anderen.
Angst ist die ständige Begleiterin des modernen Ehrgeizes, weil Existenz und Status von mindestens fünf unberechenbaren Faktoren abhängen — und das sind fünf Gründe, nicht unbedingt auf das Erreichen oder die Verteidigung einer der begehrten Sprossen auf der Leiter des Erfolgs zu spekulieren.
1. Abhängigkeit von der Tagesform Wenn der Status erfolgsabhängig ist, dann braucht man zum Erfolg im Allgemeinen Begabung und, wenn man auf ruhigen Schlaf Wert legt, das Gefühl, dass man sich auf sie verlassen kann. Aber Talent lässt sich nicht jederzeit nach Belieben abrufen. Es zeigt sich eine Zeit lang, um sich dann wieder ohne Vorwarnung zu verabschieden, und alle Mühe war umsonst. Wir können unsere besten Fähigkeiten nicht nach unserem Willen dirigieren. Wir scheinen unserer bei Gelegenheit unübersehbaren Begabung so wenig Herr, dass uns mancher Erfolg vorkommt wie das Geschenk einer fremden Macht, deren Gunst und Launen unser Leben und unsere Finanzkraft lenken.
Die alten Griechen fanden ein treffendes Bild für die beängstigende Unbeständigkeit der Begabungen - die neun Musen. Jede der Musen war für eine bestimmte Begabung zuständig und verlieh sie, gelegentlich. Es gab eine Muse für Epos und Elegie, eine für Geschichte, eine für Liebeslyrik, andere für Musik, Tragödie, Hymnen, Tanz, Komödie und Astronomie. Wer auf diesen Gebieten Erfolge feierte, vergaß nie, dass er sie der Gunst der Musen verdankte und bei diesen launischen Geschöpfen jederzeit in Ungnade fallen konnte.
Die Ressorts, die man den griechischen Musen zuordnete, berühren heutige Belange kaum noch, und doch steckt in dieser mythologischen Vorstellung die wertvolle Erkenntnis, dass wir uns unserer Fähigkeiten niemals sicher sein können und dazu verurteilt sind, beim Blick in die Zukunft immer in demütiger Hoffnung zu verharren.
2. Abhängigkeit vom Glück Unser Status hängt des Weiteren von einer Reihe günstiger Umstände ab, die sich im weitesten Sinne als »Glück« umschreiben lassen. Es kann Glück sein, dass wir zur richtigen Zeit mit dem richtigen Profil im richtigen Beruf unterkommen — und wenig
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