StatusAngst
mehr als nur Pech, wenn uns diese Gunst verwehrt bleibt.
Doch das Glück als Erklärung für unsere Lebensleistung heranzuziehen wirkt leider nicht mehr überzeugend. In früheren, weniger durchrationalisierten, technokratischen Zeiten, als der Mensch noch an die Kraft der Götter und die unberechenbaren Launen der Natur glaubte, besaß die Vorstellung, dass man Glück brauche, um sein Schicksal zu meistern, weit mehr Zugkraft. Dank und Vorwürfe wurden ganz selbstverständlich an die Adresse unsichtbarer Mächte gerichtet, Dämonen, Kobolde, Geister und Götter beschworen. Die Heldensage Beowulf (1100) zum Beispiel ist von Hinweisen gespickt, dass der Erfolg des Menschen vom Willen Gottes abhängt; als Beowulf Grendels Mutter besiegt hat, stellt er fest: »Der Kampf wäre schnell vorüber gewesen, hätte Gott mir nicht beigestanden.«
Aber mit der gewachsenen Fähigkeit, die eigenen Kräfte und das Verhalten der Umgebung abzuschätzen und vorherzusagen, hat der Glaube an Glück und Schutzgötter viel von seiner Macht eingebüßt. Theoretisch spielt das Glück zwar nach wie vor eine Rolle, in der Praxis aber hat sich die Haltung durchgesetzt, dass jeder selbst für seine Biographie verantwortlich sei. Wer seinen Erfolg einzig damit begründet, dass er Glück hatte, wirkt daher unglaubwürdig oder verdächtig bescheiden, und wer sein Scheitern allein darauf zurückführt, dass er eben »Pech« hatte, macht eine jämmerliche Figur. Jeder ist seines Glückes Schmied, lautet das moderne Mantra, das die römischen Verehrer der Göttin Fortuna oder die frommen Helden des Beowulf wohl sehr verwirrt hätte.
Ist es schon beängstigend genug, unseren Status von Eventualitäten bedroht zu wissen, so fällt es noch schwerer, in einer rationalitätsbesessenen Welt zu leben, die »Pech« als Erklärung für Niederlagen nicht mehr gelten lässt.
3. Abhängigkeit vom Arbeitgeber Weitere Unsicherheiten ergeben sich daraus, dass unser Status in vielen Fällen von den unternehmerischen Prioritäten unserer Arbeitgeber abhängt.
1907 erschien in den USA ein Buch mit dem Titel Three Acres and Liberty und sorgte sofort für Aufsehen. Der Autor Bolton Hall ging a priori vom Ungemach aus, das es bedeute, für andere arbeiten zu müssen, und stellte seinen Lesern die Wiedererlangung der Freiheit in Aussicht, wenn sie Büros und Werkhallen den Rücken kehrten und zu einem günstigen Preis drei Morgen Land im mittleren Westen kauften. Diese Fläche würde ausreichen, eine Familie zu ernähren und ein bescheidenes, aber angenehmes Leben zu führen — ohne den Zwang, sich zu verstellen und mit Kollegen und Vorgesetzten zu verhandeln. Das Buch informierte ausführlich darüber, wie Gemüse anzubauen, Gewächshäuser zu errichten, Obstgärten anzulegen waren und Vieh zu kaufen (eine Kuh reiche für den Bedarf an Milch und Käse, erläuterte Hall, und Enten seien nahrhafter als Hühner). Three Acres and Liberty transportierte eine Botschaft, die in Europa und Amerika seit Mitte des 19, Jahrhunderts immer häufiger zu hören war: dass man, um sein Glück zu machen, der Abhängigkeit von Arbeitgebern entkommen und lieber selbständig wirtschaften solle, nach eigenem Rhythmus und zum eigenen Wohl.
Die Parole war nun nicht zuletzt deshalb häufiger zu vernehmen, weil erstmals ein Großteil der Bevölkerung aus den eigenen Landwirtschafts- und kleinen Familienbetrieben abwanderten, um ihr Können, ihre Kraft gegen Lohn anderen zu verkaufen. Um 1800 lebten 20 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Amerikas in einem Beschäftigungsverhältnis, um 1900 lag der Anteil schon bei 50 Prozent und im Jahr 2000 bei 90 Prozent. Und die Arbeitgeber stellten immer mehr Leute ein. 1800 waren weniger als ein Prozent der amerikanischen Arbeitskräfte in einem Betrieb mit 500 und mehr Beschäftigten angestellt, um 2000 schon 55 Prozent.
In England wurde der Übergang vom Agrarland zu einer Nation von Lohn- und Gehaltsempfängern durch die Verknappung des Gemeindelands beschleunigt, das bis dato einem Teil der Bevölkerung ermöglicht hatte, seinen Nahrungsbedarfselbst zu erzeugen und sein Vieh — eine Kuh, eine Gans — frei weiden zu lassen. Doch schon im 18. Jahrhundert hatten die mächtigen Landbesitzer begonnen, große Teile der freien Weidefläche mit Mauern und Hecken zu umschließen. Auf diese Weise wurden zwischen 1724 und 1815 den Kleinbauern 600000 Hektar Land entzogen. Klassischer Marx'scher Analyse zufolge (von Historikern stark bezweifelt, aber
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