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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offen stehen.«
    Flankiert wurden diese Bildungsreformen von Gesetzen zur Gleichstellung am Arbeitsplatz. Die entscheidende meritokratische Maßnahme in Großbritannien (1870) war die Einführung von Eignungsprüfungen für die Beamtenlaufbahn. Über Jahrhunderte hinweg hatte der Öffentliche Dienst als Auffangbecken für verarmte und unfähige Abkömmlinge des Adels gedient - mit katastrophalen Folgen für das Empire. Um die Mitte des 19.Jahrhunderts waren die Gehaltskosten für diese wohlerzogenen, Fasanen jagenden Trottel auf eine solche Höhe gestiegen, dass zwei Regierungsbeamte, Sir Stafford Northcote und Sir Charles Trevelyan, den Auftrag erhielten, neue Einstellungskriterien zu erarbeiten. Nachdem er die Zustände im Öffentlichen Dienst mehrere Monate studiert hatte, schrieb Trevelyan in einem Brief an die Times: »Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass es sich unser Hochadel zur Angewohnheit gemacht hat, den Staatsdienst als sicheren Hort für die Hilf- und Hoffnungslosen aus den eigenen Reihen zu betrachten - als eine Art Findelhaus für diejenigen, die nicht die Kraft besaßen, sich in den freien Berufen zu bewähren, und daher eine Lebensstellung auf Kosten der Allgemeinheit zugewiesen bekommen.«
    Siebzig Jahre später protestierte George Orwell in The Lion and the Unicom (1941) noch immer gegen die Unsitte des Nepotismus. Großbritannien brauche eine Revolution, schrieb er, eine ohne »rote Fahnen und Straßenkämpfe«, doch müsse sie einen »grundlegenden Machtwechsel« zugunsten derer bewirken, die ihn verdient hätten: »Was gebraucht wird, ist eine bewusste, offene Revolte der einfachen Leute gegen Schlendrian, Klassenprivilegien und überkommene Zustände. Der Kampf gegen die Privilegien muss alle Lebensbereiche erfassen und gegen die Vorstellung Front machen, dass sich ein schwachsinniger Public-School-Absolvent besser für eine Führungsrolle eignet als ein intelligenter Mechaniker. Obwohl es begabte und ehrliche Menschen unter ihnen gibt, müssen wir die Macht der begüterten Klasse insgesamt brechen. England muss zu seiner wahren Gestalt finden.«
    In allen modernen Industrieländern wurde die Ersetzung der Einfältigen durch die Tüchtigen zum wichtigsten Anliegen der Beschäftigungsreformen. Die USA verwirklichten die Chancengleichheit im Bildungssystem mit besonderem Nachdruck. Im März 1961, noch keine zwei Monate im Amt, berief Präsident Kennedy einen Ausschuss zum Thema Chancengleichheit, der den Auftrag erhielt, jede Form der Diskriminierung bei der Vergabe von staatlichen und privaten Arbeitsplätzen zu unterbinden. Es folgte eine Flut von Gesetzen: Ein Gesetz, das gleichen Lohn für gleiche Arbeit vorschrieb (1963), ein Bürgerrechtsgesetz (1964), ein Beschäftigungsgesetz (1964), ein Gesetz zum Schutz älterer Bürger (1965), ein Gesetz gegen Altersdiskriminierung in der Beschäftigung (1967), ein Gleichstellungsgesetz zur Kreditvergabe (1976) und für Behinderte (1990). Unter dem Schutz der neuen Verordnungen konnte jeder ohne Ansehen von Alter, Herkunft, Vergangenheit, Hautfarbe und Geschlecht darauf hoffen, eine faire Chance zu bekommen.
    Das Leistungsprinzip hat sich allmählich durchgesetzt — wenn auch stockend und nicht durchgängig; seit Mitte des 19.Jahrhunderts begann man besonders in England und Amerika den Unterschied zwischen Arm und Reich mit anderen Augen zu sehen. Wenn Jobs oder Auszeichnungen nach nüchternen und allgemein anerkannten Kriterien vergeben wurden, ließ sich schlecht mehr argumentieren, dass sozialer Rang und menschliche Qualitäten nichts miteinander gemein hätten, wie es viele christliche Denker taten, oder mit Rousseau und Marx behaupten, die Reichen und Mächtigen hätten sich Einfluss und Ämter erkauft und erschlichen. Als die Fasanenjäger aus dem Staatsdienst entfernt und durch intelligente Nachkommen der arbeitenden Schichten ersetzt waren, als es mit Hilfe der Eignungstests gelungen war, die unfähigen Söhne und Töchter der amerikanischen Plutokraten von den Elite-Universitäten fern zu halten und stattdessen den hochmotivierten Kindern von Krämern eine Chance zu geben, konnte niemand mehr behaupten, dass Status das Produkt eines starren Klassensystems sei.
    Das wachsende Vertrauen in eine verlässliche Relation von Leistung und Wohlstand verlieh umgekehrt auch dem Geld eine neue moralische Qualität. Als noch Reichtum vor allem durch Vererbung von einer Generation auf die nächste

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