Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
Vom Netzwerk:
der, wie der Künstler anmerkt, »das Schwert der Gerechtigkeit« trägt. Es ist mit Blut besudelt.
    Napoleon tobte. Er befahl Fouché, jeden, der diese Karikatur nach Frankreich einschmuggelte, ohne Prozess einzusperren. Er ließ seinen Londoner Botschafter eine Protestnote überreichen und kündigte für den Fall seines Einmarschs in England an, den Zeichner persönlich zur Rechenschaft zu ziehen. Es war nicht das erste Mal, dass Napoleon so reagierte. Schon bei der Aushandlung des Vertrags von Amiens mit England im Jahre 1802 hatte er die Klausel einbringen wollen, dass alle Karikaturisten, die es wagten, ihn abzubilden, wie Mörder oder Fälscher behandelt und an Frankreich ausgeliefert werden müssen. Die Engländer wiesen dieses Ansinnen kopfschüttelnd von sich.

 
2
     
    Louis-Philippe und Napoleon hätten nicht so empfindlich reagiert, wenn Humor eine harmlose Sache wäre. Aber sie wussten sehr wohl, dass der Witz der Kritik Tür und Tor öffnet. Karikaturen, Witze, Spott sind nur eine etwas andere Art, Arroganz, Grausamkeit, hohlen Pomp und die Verletzung von Sitte und Anstand an den Pranger zu stellen.
     

    James Gillray, Die große Krönungsprozession Napoleons /., 1805
     

     
    Zudem handelt es sich um eine besonders effektive Methode der Kritik, denn sie übermittelt eine Botschaft, während sie vorgibt, nur unterhalten zu wollen. Karikaturen müssen keine Moral predigen, um den Machtmissbrauch zu brandmarken. Dass ihre Kritik trifft, bestätigt unser Schmunzeln.
    Überdies kann die Karikatur (der Gefängnisjahre Philipons mal ungeachtet) in ihrer scheinbaren Unschuld Botschaften transportieren, die unverhohlen nicht oder nur unter Gefahren zu übermitteln sind. In der Geschichte war es den Hofnarren vorbehalten, dem König Wahrheiten zu sagen, die andere den Kopf gekostet hätten. (Als König Jakob I. von England, dem ein sprichwörtlich korrupter Klerus unterstand, sich um ein zu mageres Pferd sorgte, riet ihm Archibald Armstrong, sein Hofnarr, er müsse das Tier nur zum Bischof ernennen, und schon werde es die nötigen Pfunde zulegen.) In Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1905) schrieb Freud: »Der Witz wird uns gestatten, Lächerliches am Feind zu verwerten, das wir entgegenstehender Hindernisse wegen nicht laut oder nicht bewusst vorbringen durften.« Durch Witze, fährt Freud fort, fänden kritische Botschaften Aufnahme beim Hörer, »die sie trotz ihres etwaigen Wahrheitsgehalts in unwitziger Form niemals gefunden hätten.... [und das ist Grund, weshalb] der tendenziöse Witz mit ganz besonderer Vorliebe zur Ermöglichung der Aggression oder der Kritik gegen höher Gestellte, die Autorität in Anspruch nehmen, verwendet wird.«
    Dennoch ist nicht jede hochgestellte Person eine geeignete Zielscheibe für Witze. Wir lachen selten über einen Chirurgen, der eine kritische Operation durchführt, wohl aber über einen, der nach der Operation nach Hause kommt und Frau und Töchter mit seinem geschraubten Medizinerlatein verschreckt. Kurzum: Wir lachen über das Monströse und Unangemessene. Wir lachen über Könige, die sich bedeutender dünken, als sie sind, deren Qualitäten hinter der Fülle ihrer Macht zurückgeblieben sind. Wir lachen über hochgestellte Personen, die ihre Menschlichkeit vergessen haben und ihre Privilegien missbrauchen. Wir lachen über Unrecht und Auswüchse, und im Gelächter liegt unsere Kritik.
    Ein guter Witz verfolgt daher ein moralisches Anliegen: Er will seine Adressaten durch Humor dazu becircen, sich und ihr Verhalten zu bessern. Witze sind eine beliebte Methode, auf ein politisches Ideal zu verweisen, eine gerechtere und menschlichere Welt zu entwerfen. Wo immer sich Unrecht und Verdummung breit machen, bekommen die Satiriker zu tun. Samuel Johnson zufolge ist die Satire eine besonders wirkungsvolle Art, »Bosheit oder Torheit in die Schranken zu weisen«. John Dry den schrieb: »Der wahre Zweck der Satire ist die Eindämmung des Lasters.«
     

    Stich aus dem Oxford Magazine, 1771
     

 
3
     
    Die Geschichte kennt keinen Mangel an Satiren, die die Laster der Herrschenden anprangern, das falsche Spiel und den Hochmut der Mächtigen entlarven. Am Ende des 18. Jahrhunderts wurde es bei den jungen Engländerinnen aus begütertem Hause Mode, gewaltige Perücken zu tragen. Die Karikaturisten reagierten auf diese neueste Verrücktheit sofort mit Zeichnungen, die auf den risikolosen Versuch hinausliefen, die jungen Damen wieder zur Vernunft zu bringen —

Weitere Kostenlose Bücher