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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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Schwäche, Zagen, Feigheit herrscht, sie kommen aus den Reihen der Männer, die voll Kraft und Tatendrang, Mut und Furchtlosigkeit sind; daher steht dem Ritter nichts so gut an wie ein stolzes Ross.«
     
    England, 1750-1890 In England hing das Ansehen des Mannes nicht mehr davon ab, ob er kämpfen konnte. Als wichtiger galt, dass er ein guter Tänzer war. Den höchsten gesellschaftlichen Rang nahmen die »Gentlemen« ein. Sie waren begütert, taten aber meist nicht viel mehr, als ihre Liegenschaften zu verwalten und ein wenig in Industrie und Handel zu dilettieren (vorzugsweise in Indien und Westindien), stets darauf bedacht allerdings, sich deutlich von der niederen Kaste der Händler und Fabrikanten abzuheben. Man erwartete von ihnen Familiensinn, und ihre Kinder waren möglichst nicht in den Bergen auszusetzen, eine Mätresse in der Stadt hingegen gehörte durchaus zum guten Ton.
    Besonderer Wert wurde auf lässige Eleganz gelegt. Der Gentleman pflegte sich und ging regelmäßig zum Friseur. Lord Chesterfield empfahl in den Briefen an seinen Sohn (1751), die Konversation eines Gentlemans solle frei sein von »unangebrachtem Eifer«, der dazu führe, dass man »zur unpassenden Zeit belanglose Anekdoten« vorbringe und sie mit »albernen Phrasen einleite wie ›Apropos, das muss ich Ihnen unbedingt erzählen««. Chesterfield betonte zudem, ein Gentleman müsse in der Lage sein, Menuett zu tanzen. »Beachte, dass die graziöse Bewegung der Arme, das Reichen der Hand, das elegante Lüften des Hutes für den Tanz des Gentlemans von unverzichtbarer Bedeutung sind. « Was den Umgang mit Frauen betraf, wurde erwartet, dass ein Gentleman heiratete, doch er sollte (um mit Chesterfield zu sprechen) bedenken, dass »Frauen nur Kinder von größerem Wuchs« seien. Wenn er bei Tisch neben einer Vertreterin dieser Gattung sitze, möge er in Gottes Namen »plappern«, keinesfalls jedoch stumm bleiben, da das als Zeichen der Geistlosigkeit oder des Hochmuts gewertet werden könne.
     
    Brasilien, 1600-1960 Beim Stamm der Cubeo im nordwestlichen Amazonasgebiet galten Männer am meisten, die wenig sprachen (aus einem Mund, der nicht stillstand, versickerte alle Kraft), nicht an den Tänzen teilnahmen, sich nicht mit der Kinderaufzucht befassten, sondern das größte Geschick beim Erlegen von Jaguaren bewiesen. Während Männer von niederem Status fischen gingen, zogen die Männer mit hohem Status auf die Jagd. Wer einen Jaguar tötete, trug die Zähne als Schmuck um den Hals. Wer die meisten Jaguare erbeutete, wurde Häuptling und trug zusätzlich zu den Halsketten einen Armadillo-Gurt. Die Frauen waren dazu verurteilt, in Urwaldlichtungen Maniok anzubauen. Es gab kaum eine größere Schande für einen Mann, als dabei ertappt zu werden, wie er seiner Frau bei der Zubereitung von Maniok zur Hand ging.
     

 
2
     
    Wonach richtet sich die Zuerkennung von Status? Warum sind es mal die Krieger, mal die Gentlemen, die das höchste Ansehen genießen?
    Mindestens vier Antworten bieten sich an. Eine Gruppe kann sich dadurch Respekt verschaffen, dass sie gewaltsam ist, andere bedroht und drangsaliert. Oder sie erringt Prestige, weil sie andere schützt, sei es durch ihre Macht, Gunst oder die Zuteilung von Nahrung. Wenn von allen Seiten Gefahren drohen (wie im antiken Sparta oder im Europa des 12.Jahrhunderts), werden mutige Krieger und Ritter gefeiert. Wenn ein Stamm Nährstoffe benötigt, die nur schwer zugängliches Fleisch liefern kann (Amazonas), sind es die Jaguarjäger, die den größten Respekt verdienen und symbolisch mit Armadillo-Gurten belohnt werden. In Ländern, deren Wohl von Handel und Hochtechnologie abhängt (das heutige Europa und Nordamerika), werden Unternehmer und Wissenschaftler zum Gegenstand allgemeiner Bewunderung. Auch das Gegenteil trifft zu: Eine Gruppe, die keine wichtige Funktion ausübt, besitzt auch keinen Status — das ist das Schicksal von Muskelmännern in Ländern mit gesicherten Grenzen oder von Jaguarjägern in sesshaften Agrargesellschaften.
    Oder eine Gruppe erringt einen gehobenen Status, indem sie andere mit ihren menschlichen Qualitäten beeindruckt, ihren körperlichen, künstlerischen, geistigen Fähigkeiten wie zum Beispiel die Heiligen des Mittelalters oder die Fußballer unserer Tage.
    Oder die Gruppe appelliert mit einer solchen Beredsamkeit an die Moral ihrer Mitmenschen, dass niemand, der Wert auf ein gutes Gewissen legt, es wagen wird, dieser Gruppe einen höheren Status zu

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